Am 19. September wurde John Henry Newman seliggesprochen
Ausgabe: 2010/38, Gestalt, Ökumene, John Henry Newman, Roman Siebenrock, Erzbischof Rowan Williams
22.09.2010
- Dr. Roman Siebenrock
Waren es nur freundliche Worte – oder doch mehr? Wiederholt haben Papst Benedikt und der anglikanische Erzbischof Rowan Williams in den vergangenen Tagen auf Henry Newman als Bindeglied zwischen den Kirchen hingewiesen.
Kann tatsächlich ein Konvertit als ökumenische Orientierung gelten? Ja, weil die Konversion Newmans nicht die real existierende römisch-katholische Kirche, so wie sie ist, bestätigt und damit beruhigt, sondern weil er ihr seine Vision der Katholizität voller Unruhe zumutet, die durch Schrift, Kirchenväter und die große Tradition getragen ist. Noch heute lautet seine Botschaft an seine Kirche: Du bist noch nicht so, wie Du sein solltest.
Versöhnt. In Newman spiegelt sich das ganze Christentum. In ihm erscheint versöhnt und integriert, was bis heute durch Kirchenspaltung, gegenseitiges Misstrauen und Angst um die eigene Identität in Gegensatz gerät. Wer sich Newman nähert, begegnet
- dem jungen Charismatiker, der mit dem Evangelium Ernst macht und sich täglich neu am Willen Gottes orientiert. Vielleicht würde er uns heute in seiner Radikalität gar als „Fundamentalist“ erscheinen; - dem akademischen Lehrer und Prediger in Oxford, der zur Reform der anglikanischen Staatskirche aufruft und Universität und Herzensbildung zu integrieren wagt; - dem Konvertiten, der in der Mitte des Lebens ganz neu und ganz unten beginnt – bei den irischen Einwanderern und den über Jahrhunderte gesellschaftlich an den Rand gedrängten Katholiken, die als Mitglieder der „Irischen-Dienstmädchen-Religion“ marginalisiert wurden; - dem jungen anglikanischen „Minister“ (Geistlichen) und in erstaunlicher Einheit dazu dem Priester des Oratoriums des hl. Philipp Neri, der in aller Stille und Verborgenheit seinen Dienst in einer sehr armen Gemeinde am Rande der Stadt Birmingham tut. - Wir sehen den theologischen Schriftsteller, der als Anwalt der Laien diese zum Maßstab der Kirche erklärt, der für die unumstößliche Souveränität des Gewissens und des personalen Glaubens eintritt und gleichzeitig davor warnt, der bloß eigenen Meinung und Selbstherrlichkeit zu trauen. In Treue zum päpstlichen Dienst protestiert er gegen eine Papstvorstellung, in der alles in der Kirche nach unmittelbar römischer Linie gehen könne. - Wir lesen seine religiöse Autobiographie (Apologia pro vita sua), in der er nicht dem häufig zu findenden „Eifer“ der Konvertiten (‚Konvertitis‘) verfällt, sondern die Kirche seiner Herkunft ehrt und gleichzeitig den Glaubensfrieden bezeugt, den er durch seinen Schritt ins gesellschaftliche Aus gefunden hat.
Vater im Glauben. Mit seinen Worten wird bis heute in zahllosen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften gebetet und gesungen. Edward Elgar hat sein Altersgedicht in einem großen Oratorium vertont: „The dream of Gerontius“. Quer durch die Christenheit ist er zum Vater im Glauben geworden, ein Freund auf der Pilgerschaft des Lebens. Warum sollten wir ihn kennen, ihn heute wieder lesen? Weil das ganze Leben aus dem Glauben da ist, seine Nuancen, Abgründe und Höhepunkte. Nie ist er fertig, stets in Verlegenheit, von Problemen bedrängt, immer in Entwicklung, auf dem Weg zur Wahrheit, die für ihn der lebendige Christus ist.
Orientierung. Die Ökumene, die ich in Newman verwirklicht sehe, hat zwei entscheidende Orientierungen. Wir glauben nicht gegen jemanden, wir leben keine negative Identität, die dadurch gewinnt, dass andere abgewertet werden. Wir glauben in immer tieferer Treue zum Evangelium. Die Erneuerung der Kirche wird allein in einer Radikalisierung der Mitte und der in allen lebendigen Wurzel geschehen: Zeuginnen und Zeugen des lebendigen Gottes werden sich um den Konfessionalismus nicht mehr kümmern.
Newman im Zitat
Freilich sagt man zuweilen, ein Strom sei am klarsten bei seiner Quelle. Welchen Gebrauch man auch immer von diesem Bild machen mag, es lässt sich nicht anwenden auf die Geschichte einer Philosophie oder eines Glaubens. Diese sind im Gegenteil mäßiger, reiner und kräftiger, wenn ihr Bett tief geworden ist und breit und voll. (…) Gefahren und Hoffnungen tauchen auf bei neuen Beziehungen; und alte Prinzipien erscheinen wieder unter neuen Formen. Sie wandelt sich mit ihnen, um dieselbe zu verbleiben. In einer Höheren Welt ist es anders, aber hienieden heißt leben sich wandeln, und vollkommen sein heißt sich oft gewandelt haben. (Entwicklungslehre 41).
Ich bin, was ich bin, oder ich bin nichts. Ich kann über mein Sein nicht denken, ohne gerade von dem Punkt auszugehen, den ich zu erschließen strebe. (…) Wenn ich nicht von mir selbst Gebrauch mache, habe ich kein anderes Selbst zu gebrauchen. Meine Aufgabe ist, zu ermitteln, was ich bin, um es in Gebrauch zu setzen. Der Mensch aber beginnt mit nichts ‚Verwirklichtem‘; (…) er muss schon selber Kapital schlagen aus der Auswirkung jener Fähigkeiten, die sein natürliches Erbteil sind. So schreitet er stufenweise vor zu der Fülle seiner ursprünglichen Bestimmung. (Zustimmungslehre 243f.)