Die Zahl der Menschen, die den österreichischen Staat nicht anerkennen, nimmt zu. Sie nützen Sozialleistungen aus, lehnen aber ihre Pflichten als Staatsbürger ab. Woher kommt diese Entsolidarisierung?
Ausgabe: 2017/04
24.01.2017
Im Herbst 2016 trifft ein seltsames Dokument in einer Kirchenbeitragsstelle in Oberösterreich ein. Der Absender weigert sich, den vorgeschriebenen Kirchenbeitrag zu zahlen. Er verbietet „den Missbrauch“ seiner persönlichen Daten innerhalb der „Firma Kirchenbeitrag“. Sollte dieses Verbot missachtet werden, droht der Absender mit einer hohen Geldstrafe. Ursula Schmidinger, Leiterin der Abteilung Kirchenbeitrag in der Diözesanfinanzkammer Linz, hat immer häufiger mit solchen Zusendungen zu tun: „Die Anhänger sogenannter ‚Souveräner Bewegungen‘ wollen Geldforderungen umgehen. Das ist ein Zeichen der Entsolidarisierung.“
Der Staat ist nur eine Firma
Unter dem Begriff „Souveräne Bewegungen“ werden zurzeit Gruppierungen zusammengefasst, die den österreichischen Staat und seine Institutionen nicht anerkennen. Dazu gehören Polizei, Gerichte oder Gemeinden, aber auch kirchliche Einrichtungen wie die Diözesanfinanzkammer. Die Anhänger/innen deuten den Staat als Firma, die sich rechtswidrig in ihr Leben einmischt. Soziale Leistungen nehmen sie in Anspruch. Ihre Verpflichtungen als Staatsbürger lehnen sie aber auf Kosten der restlichen Bevölkerung ab. Der Schriftverkehr in den Ämtern und die Drohungen kosten den Adressaten zunehmend Zeit und Nerven. Das Innenministerium nennt es „Papierterrorismus“.
Signalwirkung
Bisher wurden 1100 Aktivist/innen in Österreich namentlich erfasst. Das ist eine überschaubare Anzahl. Trotzdem darf man sie nicht unterschätzen, sagt Roman Schweidlenka. Der Sektenbeauftragte des Landesjugendamts Steiermark spricht demnächst in Linz über die neuen antidemokratischen Bewegungen: „Was im Kleinen beginnt, hat Signalwirkung. Alle historischen Bewegungen, auch die Nationalsozialisten, sind von kleinen Zirkeln ausgegangen.“ Roman Schweidlenka erkennt ein Muster, das die unterschiedlichen Gruppen eint: „Das sind Leute, die eine Alternative zum momentanen Staats- und Wirtschaftssystem suchen, weil sie das Gefühl haben, fremdbestimmt zu sein.“ Sie lassen sich von Meinungsführenden begeistern, die ihnen – verbunden mit esoterischem und/oder rechtsradikalem Gedankengut – eine Selbstverwaltung ohne staatliche Kontrolle versprechen. „Diese Menschen werden missbraucht. Sie sind intellektuell wenig durchdacht und haben kein politisches Bewusstsein“, meint Roman Schweidlenka. „Und sie zeichnen sich durch eine Mentalität aus: Sie haben Freude daran, den Staat auszunutzen.“ Die „Souveränen Bewegungen“ sprechen bei ihren Treffen durchaus soziale Bedürfnisse an, so Roman Schweidlenka: „Sich zu treffen und mehr miteinander zu kommunizieren, sehe ich als positiv. Aber diese Bewegung sehe ich mit Sorge.“ «
Roman Schweidlenka spricht beim Treffen des Oö. Netzwerks gegen Rassismus und Rechtsextremismus in Linz, Di., 31. Jän., 16.30 Uhr, Edlbacherstr. 1, und am Mi., 1. Feb., in einem Seminar an der Pädagog. Hochschule der Diözese Linz.Zur Sache
Souveräne und Co
Seit Mitte 2014 sind in Österreich Verbindungen bekannt, deren Anhänger/innen den Staat, seine Verfassung und seine Institutionen nicht anerkennen. Sie bezeichnen sich als „Freeman“, „souveräne Bürger“, „Terranier“, „Reichsbürger“, andere Gruppen nennen sich „Verfassungsgebende Versammlung“ (VGV), „Staatenbund Österreich“, „Internationaler Gerichtshof“ oder „Amt für Menschenrechte“.
Einige vertreten die Ansicht, dass das „Deutsche Reich“ noch bestehe und alle nach 1945 beschlossenen Gesetze ungültig seien. Andere anerkennen nur das Naturrecht und die universellen Menschenrechte, die durch staatliches Handeln verletzt würden. Öffentliche Stellen und Privatpersonen haben Anklageschriften oder Urteile von fiktiven Gerichtshöfen erhalten, in denen hohe Geldbeträge gefordert werden. Diese Strafen werden in ein US-Schuldenregister eingetragen. In Malta ansässige Inkassobüros versuchen diese einzutreiben. Justizminister Wolfgang Brandstetter hat bereits einen Strafrechtsentwurf vorgelegt. Damit sollen Gründer/innen einer staatsfeindlichen Bewegung, die die Vollziehung von Gesetzen verhindern will, strafbar sein.