Schon kleine Kinder sind von digitalen Medien fasziniert. Die Neurowissenschafterin Manuela Macedonia weiß, wie sich zu hoher Medienkonsum auf die Entwicklung des kindlichen Gehirns auswirkt, und mahnt Eltern, sich ihrer Verantwortung bewusst zu sein.
Kinder wachsen mit digitalen Medien auf, man kann diese Tatsache nicht ausblenden. Aber die Eltern werden angehalten, Rahmen zu setzen, zeitlich und inhaltlich. Wo würden Sie als Neurowissenschafterin Grenzen ziehen? Was kann man erlauben, was nicht? Manuela Macedonia: Die Neurowissenschaft kann den Hausverstand der Eltern nicht ersetzen. Aber sie kann auf Risiken hinweisen, die vom ausufernden Medienkonsum ausgehen. Ein großes Risiko stellt die Zeitverschwendung dar: Kinder, die stundenlang am Tag mit Medien interagieren, lernen oft nicht das, was sie lernen sollten, machen keine Bewegung, spielen nicht mit Gleichaltrigen, schlafen weniger usw. … Es bedeutet, dass Kinder wegen des Medienkonsums womöglich keine optimalen Lernleistungen erbringen, übergewichtig werden, Schlafstörungen und asoziales Verhalten entwickeln. Darüber hinaus machen Medien süchtig und bieten unbeschränkten Zugang zu Gewalt und Pornografie, die früher oder später als „normale“ Verhaltensmuster wahrgenommen und leider auch gelernt werden.
Bei vielen Kindern funktioniert die „Ruhigstellung“ mit einem Smartphone oder Tablet. Aber wie viel Risiko für die Hirnentwicklung des Kindes nimmt man damit in Kauf, wenn man statt persönlicher Interaktion ein digitales Medium zur Beschäftigung anbietet? Macedonia: Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass Kinder von einem Fernseher nicht lernen können, zum Beispiel eine Sprache. Kinder lernen am besten von Menschen. Wenn das Medium jedoch Interaktion ermöglicht, können sich Kinder Wichtiges spielerisch selbst beibringen: Lesen und Schreiben oder Mathematik, auch Programmieren. In diesem Fall ist der Einsatz von Medien vertretbar. Aber Eltern sollen immer hinterfragen: Lernt mein Kind etwas Sinnvolles dabei? Dann ja und dann aber auch zeitlich limitiert. Ist das, was mein Kind macht, nur Unterhaltung, also surfen, chatten, Filme oder Fotos schauen, online spielen? Dann eher nicht, denn tratschen und spielen kann man am besten von Angesicht zu Angesicht, eventuell an der frischen Luft, gepaart mit Bewegung.
Ab welchem Alter ist für ein Kind ein digitales Medium wirklich sinnvoll?
Macedonia: Ich sehe immer wieder ganz kleine Kinder, auch unter zwei Jahren, die mit dem Handy der Eltern spielen und somit „ruhiggestellt werden“. Das ist nicht in Ordnung. Die Eltern sollen sich um Interaktion bemühen, damit das Kind Sprache und soziales Verhalten lernt.
Sowohl vor Schuleintritt als auch während der Schulzeit gilt immer die Devise: Ist das Medium dazu da, um etwas Sinnvolles zu lernen, wie Lesen, Rechnen, Wissen aus der Tierwelt, wie Dinge funktionieren usw.? Dann ja. Zum Chatten, Facebook-Machen, Online-Spiele spielen, Selfies in diverse Kinder-Socialmedia zu stellen nicht, egal in welchem Alter.
Kinder ahmen viel nach, auch das, was sie im Fernsehen wahrnehmen. Computer- und Konsolenspiele stehen deshalb oft im Fokus der Kritik – speziell wenn es um Gewalt geht. Gibt es dazu Untersuchungen, die belegen, dass Kinder weniger empathisch sind, wenn sie oft Gewaltvideos sehen?
Macedonia: Ja, darüber gibt es schon seit einigen Jahren genug Untersuchungen die eindeutig zeigen, dass Kinder und Jugendliche, die gewalttätige Spiele spielen, signifikant mehr Gewaltbereitschaft an den Tag legen und – damit gepaart – auch niedrigere Empathie gegenüber Opfern zeigen. Das ist eine besorgniserregende Mischung, die Menschen zu asozialem Verhalten führt und auch näher an Kriminalität bringt.