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„Bitte sehr“, sagt er, und mit einem Handzeichen lässt einer dem anderen den Vortritt. Anstand und Höflichkeit reichten, um in früheren Zeiten die Flüssigkeit alltäglicher Abläufe zu gewährleisten. Damit man sich nicht in jedem Einzelfall entscheiden musste, entstanden die Anstandsregeln. Sie waren hilfreich und man stellte sie auch nicht infrage. Schneller wurde das Leben. Mit dem motorisierten Verkehr reichten Höflichkeit und Anstand nicht mehr. Man kann ja nicht an jeder Kreuzung den Vorrang ausverhandeln. Erst im 20. Jahrhundert entstanden nach und nach die Verkehrsregeln. Niemand stellt ernsthaft infrage, dass Verstöße auch geahndet werden. Der Sicherheit dienen sie, und auch wenn man sich über das eine oder andere Strafmandat ärgert, so fiele es doch niemandem ein zu sagen: An der Kreuzung gilt Gleichberechtigung. Warum sollte der Linksabbieger dem Rechtsabbieger gegenüber benachteiligt sein – und warum ein Fußgänger am Zebrasteifen Vorrang haben? Trotzdem sind Regeln in die Krise geraten. Schwer sogar. Religionsgemeinschaften kennen das schon länger. Jetzt ringt auch die Zivilgesellschaft mit dem Phänomen der Regelverweigerung. Neu gilt es zu spüren und zu lernen, dass sich Verantwortung füreinander – man könnte auch sagen: die Liebe – am kräftigsten äußert, wenn sie zum Regelfall wird.
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