KOMMENTAR_
Zu „Dialogangebot trotz Zerstörung“, Nr. 27:
Ob die Darstellung einer Geburt ein Tabubruch ist, darüber können wir diskutieren. Eines wird allerdings in dem Kunstobjekt „crowning“ von Esther Strauß sichtbar: die unglaubliche Dynamik einer Geburt und somit die weibliche Kraft. Jede und jeder, die/der schon einmal bei einer Geburt dabei war, weiß, wovon ich spreche.
Nun, es ist nicht irgendeine Frau, die bei diesem „heiligen“ Akt der Menschwerdung dargestellt wird. Es handelt sich um Maria, die heilige Mutter Gottes, die viele von uns auf unterschiedliche Weise als stärkende Frau erleben. In unserer Kirchengeschichte musste sie vielen Bildern gerecht werden. Vor allem männlich patriarchalen, die sich offensichtlich mit einer unnahbaren, asexuellen, überhöhten Jungfrau Maria wohler fühl(t)en. Viele Frauen und Männer wenden sich von der Kirche ab, weil sie mit derart überhöhten und leeren Worthülsen wenig bis gar nichts mehr anfangen können. Nun haben wir eine sehr menschliche, intime, ja eine Maria, die sich ganz öffnet, um die Geburt unseres Erlösers zu ermöglichen. [...] Stellvertretend für viele Frauen in unserer Kirche möchte ich mich hinter dieses mutige Kunstprojekt von Esther Strauß und Theresa Limberger stellen und dem Team „DonnaStage“ der Diözese Linz meinen Dank aussprechen für die Möglichkeit, Frauenbilder und Geschlechterrollen in unserer Gesellschaft/Kirche zu diskutieren. Dafür war die Kunst immer schon ein probates Mittel. Ich setze mich für eine offene Kirche ein, in der verschiedene Meinungen ihren Platz finden und durchaus auch kontrovers diskutiert werden dürfen. Für derartige Gewaltausbrüche, wie der Täter, die Täterin im Mariendom sie gezeigt hat, fehlt mir jedoch jedes Verständnis.
Margit Schmidinger, Vorsitzende der KFB OÖ
Es ist bedauerlich, dass einige katholische Würdenträger immer öfter denken, sie müssten fortschrittliches Denken beweisen und Aufmerksamkeit erregen, indem sie als Mäzene provozierenden Künstlern für deren Selbstverwirklichung die Kirche als Plattform anbieten. [...] Das letzte Beispiel ist die völlig unnötige und geschmacklose Darstellung der „gebärenden Maria“ mit gespreizten Beinen, noch dazu im Kirchenbereich. Nach der ebenso unnötigen und natürlich inakzeptablen Zerstörung der Figur wird „entsetzt“ nach einer Möglichkeit des Dialoges gesucht. Wieso? Wenn ich das Thema des Geburtsereignisses diskutieren möchte, gehe ich zum Frauenarzt und nicht in die Kirche. Der Geburtsvorgang ist nicht neu und kein besonderes Mysterium, braucht also – logischerweise auch im Fall der heiligen Maria – weder von Künstlern in dieser Position dargestellt noch von Kustoden und Vikaren dem offenbar unwissend eingeschätzten Volk erklärt werden. Die betroffenen Geistlichen wären wahrscheinlich besser beraten, sich stattdessen zu bemühen, die Bedeutung der Frau in der Kirche in gleichrangige Bereiche zu bewegen.
Helga Siegesleitner, Traunkirchen
Maria gebar ohne Verletzung ihrer jungfräulichen Unversehrtheit (aus: Ludwig Ott, Grundriss der Dogmatik 247). [...] Vielleicht hat die harte Sprache des Dogmas zum Fundamentalismus neigende „Gläubige“ zu diesem Vandalenakt verleitet. Aber es wären nebenher auch die Freiheit der Kunst und deren Anspruch zu hinterfragen: ob auf Provokation hier angemessen mit einem „groben Keil“ zu antworten war. „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern Kunst macht sichtbar“ (Paul Klee). Was also sollte mit dieser Skulptur „sichtbar“ gemacht werden?
MaG. Franz Danksagmüller, St. Martin im Innkreis
Ich bin katholisch und regelmäßiger Kirchgänger. Aber es erstaunt mich, welche Welle an Empörung die gebärende Maria im Linzer Dom ausgelöst hat. Die Empörung kam primär von konservativer Seite. Mich wundert, warum wir uns eigentlich noch nie empört haben über die blutrünstigen Darstellungen des gegeißelten, leidenden Christus mit Dornenkrone, dem das Blut über Gesicht und Körper rinnt. Wir hängen einen gekreuzigten, toten Menschen in unseren Bauernstuben in den Herrgottswinkel. Wir singen blutrünstige Kirchenlieder wie „Nun ist das Lamm geschlachtet, das Opfer ist vollbracht“ oder „O Haupt voll Blut und Wunden“ und viele ähnliche.
Kann es sein, dass wir uns an diese „Grauslichkeiten“ einfach gewöhnt haben, weil man sie in unserer Kirche zu „Glaubenswahrheiten“ gemacht hat? Die gebärende Maria ist bei Weitem nicht blutrünstig, aber wir sind sie einfach nicht gewohnt. Wir sind nur das liebe Kind in der Krippe gewohnt, nicht das, was davor sein musste.
Wolfgang Ortner, Wels
Die Zerstörung der geschnitzten Krippenfigur Maria Theotokos – der Gottesgebärerin – der Künstlerin Esther Strauß ist unfassbar und erinnert in der Dramatik der Ausführung an den Bildersturm längst vergangen geglaubter Zeiten. [...] Esther Strauß stellt mit ihrer Marienfigur den existenziellen Moment der Geburt dar und schenkt Maria damit die ganze Aufmerksamkeit. Maria wird hier als Frau gezeigt, die abseits von ihrer idealisierten Darstellungsform mit menschlichen Attributen wie Anstrengung und Schmerzen ausgestattet wurde. Es ist die Performativität der Geburt als reinste Form der Inkarnation, die die Künstlerin mit ihrer Arbeit visualisiert hat. [...] Es liegt an uns als Betrachtende, welche Projektionen wir da hineinlegen, denn Esther Strauß hat diesen Moment der Geburt sehr behutsam dargestellt [...]
Maria Reitter-Kollmann, Kunstwissenschafterin und Obfrau des Diözesankunstvereins, Linz
KOMMENTAR_
DENK_WÜRDIG
Jetzt die KIRCHENZEITUNG 4 Wochen lang kostenlos kennen lernen. Abo endet automatisch. >>
BRIEF_KASTEN