
Die kleine Nachtmusik von Mozart werden viele Menschen erkennen, ebenso Smetanas Moldau, der Anfang von Beethovens fünfter Symphonie oder von Tschaikowskys erstem Klavierkonzert.
Bei Anton Bruckner gibt es kein vergleichbar bekanntes Stück, sieht man vielleicht vom Scherzo der neunten Symphonie ab. Das verleiht der Frage, was man gehört haben sollte, um einen Eindruck von Bruckners Musik zu erhalten, besondere Bedeutung.
Anton Bruckner schrieb elf Symphonien, von denen neun nummeriert sind und von denen wiederum eine unvollendet blieb. Die Fassungsproblematik vertagen wir hier auf einen späteren Beitrag.
Da sich Bruckner schwertat, seine Musik Zeitgenossen zu vermitteln, können jene Werke, mit denen er seinen Durchbruch erlebte und die zu den meistgespielten Werken des Ansfeldner Meisters gehören, eine Grundlage sein: die Symphonien vier und sieben.
So – jetzt haben wir Verrat an den neun anderen Symphonien begangen. Warum sollte nicht für jemanden die Sechste der Schlüssel zu Bruckner sein? Nur von der Fünften sei als Einstieg abgeraten: Bruckner selbst hat sich versprochen, nie wieder im Leben so ein komplexes Werk zu schreiben, bei manchen Dirigenten gilt sie als „Angstgegner“. Freilich: Wer sie über die Jahre lieb gewinnt, wird sie in hohen Ehren halten.
Bruckners „Te Deum“ muss man kennen, es ist das bedeutendste Chorwerk des 19. Jahrhunderts. Diesen Lobeshymnus auf Gott nach einem spätantiken Text schrieb der Meister „für Chor, Soli, Orchester und Orgel ad libitum“ – oder, mit den Worten Gustav Mahlers, „für Engelszungen, Gottselige, gequälte Herzen und feuergeläuterte Seelen“. Bruckner schrieb das Werk auf dem Höhepunkt seines Schaffens ohne Auftrag aus Dank an Gott, dass er trotz aller Rückschläge seinen Weg durchstehen konnte.
An dieser Stelle taugt ein Wort zur Interpretation: Sie ist bei einem Werk wie diesem entscheidend. Die Aufnahme der Münchner Philharmoniker unter Sergiu Celibidache ist zu langsam: Was bei Bruckners Symphonien anzuraten ist, scheitert hier. Auch von der Aufnahme von Karajans mit den Berliner Philharmonikern 1975 sei abgeraten: Sie ist so perfektionistisch, dass man Kälte, aber keine Liebe hört. Wenn Sie sich etwas Gutes tun wollen, dann hören sie eine Aufnahme von Eugen Jochum oder Daniel Barenboim
Bei den Messkompositionen, die gerade am Anfang Fragment geblieben sind, ragen die „großen“ Werke (d-Moll, e-Moll und f-Moll) heraus. Vor allem das Credo ist jeweils zentral: Bruckner macht aus dem trockenen Bekenntnistext ein heilsgeschichtliches Drama.
Unter den drei großen Messen ist Nummer zwei eine Besonderheit: Es singt ein achtstimmiger Chor mit einem kleinen Blasorchester, Soli gibt es keine. Diese Messe wurde zur Einweihung der Votivkapelle des Linzer Mariendoms gespielt. Sie ist ein Solitär, greift tief in die alte Kirchenmusik zurück und gleichzeitig in die Zukunft. Nichts kommt ihr gleich.
Zum liturgischen Gebrauch gedacht waren zahlreiche vermeintlich kleine Musikstücke. Die bekanntesten sind „Locus iste“, „Tota pulchra“, das „Ave Maria“ mit siebenstimmigem Chor (Achtung: Bruckner hat den Text dreimal vertont) und „Virga Jesse“. Eugen Jochum hat in den 1960er-Jahren diese Werke auszugsweise vor den Vorhang geholt.
Über sein ganzes Leben verteilt hat Anton Bruckner fünf Psalmvertonungen vorgelegt. Sie dokumentieren seine Entwicklung als Komponist. Wirklich bekannt ist leider nur das letzte Werk, der „Psalm 150“.
Der Platz für diesen Bruckner-Kanon neigt sich zu schnell dem Ende zu! Wie ungerecht ist der Text gegenüber dem Streichquintett, wie ignorant gegenüber den Männerchorwerken! Ja, manche der Letztgenannten sind grandiose Musik zu furchtbaren Texten. Aber es sind Perlen darunter: „Um Mitternacht“, „Trösterin Musik“, „Trauungschor“.
Der Autor dieses Textes ist nun mit seinem Latein am Ende. Musik mit Worten zu beschreiben, scheitert. Stellen Sie sich eher den Sonnenaufgang an einem Sommertag im Alpenvorland vor. Das ist – vielleicht – das Gefühl der ersten Tate von Bruckners vierter Symphonie.

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