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Glaube erfordert keine Beweise, sonst ist es kein Glaube mehr. „Wahrheit und Lüge“, „Realität und Wunsch“: Von diesen Gegensätzen handeln die Filme von Xavier Giannoli. Der neue Film ist wie ein Thriller (ohne Action) angelegt, thematisiert aber vor allem das Verhältnis eines Mannes auf der Suche nach einem Gleichgewicht zwischen einer konkret erfahrbaren Wirklichkeit und einem spirituellen Zugang zu einer Welt, die sich der Rationalität entzieht: Jacques Mayano ist ein erfolgreicher Kriegsreporter, der gerade von einem Syrien-Aufenthalt, bei dem ein befreundeter Fotograf getötet wurde, nach Frankreich zurückkehrt. Traumatisiert und auch physisch beeinträchtigt – seine Ohren sind durch eine Explosion geschädigt – erholt er sich in der Heimat, als ihn ein ungewöhnlicher Anruf aus dem Vatikan ereilt. Er wird mit einer seltsamen Mission beauftragt, nämlich eine kanonische Kommission zu einer Marienerscheinung zu leiten, die sich in einem Dorf im Südosten Frankreichs zugetragen haben soll. Die 18-jährige Anna gibt an, auf einem Hügel mehrmals der Gottesmutter begegnet zu sein.
Vincent Lindon, dessen Performance immer mehr an Lino Ventura erinnert, überzeugt in der Rolle des zunächst eher irritierten Journalisten, der mit einer für ihn bislang unbekannten Welt konfrontiert wird. Die journalistische Recherche entspricht einem klassischen Krimiplot: Spuren suchen, Leute befragen, Fakten sammeln. Der kleine Ort ist ein Sammelbecken für allerlei: einen zwielichtigen Pfarrer, der der Arbeit der Kommission skeptisch gegenübersteht, einen Priester, der die Marienerscheinung kommerziell ausnützen will, die Touristen, die in Strömen kommen, und das Mädchen selbst, das zwar in seinem Glauben überzeugend wirkt, aber doch etwas zu verbergen scheint.
Giannoli nimmt sich viel Zeit für den Gesinnungswandel des Protagonisten, der am Beginn als Agnostiker präsentiert wird, auf mehrere Lektüren hingewiesen, die ihn bei der Vorbereitung zum Film begleitet hätten. Neben Joachim Bouflets „Gottesfälscher“ – das Buch sieht man auch in einer Szene des Films in den Händen des Journalisten –, einer Untersuchung über jene Hochstapler, die alles zu tun bereit sind, um die Leute glauben zu machen, sie hätten ein Zeichen Gottes gesehen, zitiert er auch Emmanuel Carrères bemerkenswertes Buch „Das Reich Gottes“ (2014), in dem der französische Autor, ausgehend von einer Lebenskrise, der Frage nachgeht, wie Menschen an Dinge glauben können, die dem Verstand entgegenstehen. Carrère zeichnet in seinem historischen Exkurs über das Christentum das Bild einer Welt, die vom Pragmatismus des Römischen Reichs beherrscht und doch durchdrungen vom Wunsch nach tieferem Sinn und Gemeinschaft war.
Die Stärke von Giannolis Film zeigt sich in seinem differenzierten Zugang zum Thema: Er urteilt nicht über seine Figuren, sondern versucht ihre existenzielle Not zu verstehen. Bezeichnend für diese Sichtweise ist die Charakterisierung des Pfarrers, den man zu Beginn in die Nähe des sexuellen Missbrauchs bringen möchte. Wie sich herausstellt, ist das Mädchen – ohne jeglichen Hintergedanken – für ihn wirklich ein Hoffnungsschimmer, gegen die „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ zu predigen: „Der Glaube erfordert keine Beweise, sonst ist es kein Glaube mehr.“
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