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„Was haben’s denn da für einen Blödsinn aufgestellt?“, fragte eine Kirchenbesucherin Bischof Hermann Glettler, als er noch Pfarrer in Graz-St. Andrä war. Blumen aus Beton im Kirchenraum: „So ein Graffl“, meinte sie kopfschüttelnd. Bischof Hermann Glettler erzählt von dieser Begegnung in der Kirche. Er lächelt und seine Augen leuchten: „Ja, Kunst ist auch ein Platzhalter für den Blödsinn. Für das, was nicht sein muss, aber sein kann. Es geht in erster Linie um Begegnung und um Prozesse, die in Gang kommen, und nicht um das Kunstwerk“, sagt er beim Studientag des Instituts Pastorale Fortbildung im Linzer Priesterseminar. Mehr als zehn Jahre lang hat er als Pfarrer und Kurator die Begegnung mit Kunst in seiner Pfarre gefördert und selbst viel dadurch gelernt.
Ein verhüllter Altar und Ambo in Karton von einem Einsiedler, der
40 Tage schweigend auf der Orgelempore lebte und arbeitete, ein Holzschiff mitten im Kirchenraum, das die Frage nach dem Umgang mit Flüchtlingen unübersehbar machte, ein Glasfenster mit einer Eingangstür. Nutzlos und doch wie ein Tor zum Himmel, wie ein Kind meinte. – Das sind nur einige der Beispiele, die er mit dem Kunst-Dialog in St. Andrä ermöglichte. Die Kunst der Gegenwart bricht mit gewohnten Bildern, Erwartungen und Haltungen. Sie stört den gewohnten Ablauf, und genau da liegt ihre Stärke. „Der Mensch muss heute funktionieren. Immer und überall. Die Kunst entlastet, irritiert, schafft Freiräume, erzeugt Räume der Neugierde, Räume, wo die Seele atmen kann“, beschreibt Glettler seinen Zugang. Anders gesagt: „Kunst und Kirche versuchen, der Banalisierung des Lebens und dem fatalen Druck der totalen Ökonomisierung unseres Lebens entgegenzuwirken. Das geschieht in und jenseits vertrauter Kirchenräume und hat immer dort Zukunft, wo Kirche und Kunst sich als selbstbestimmte Partner ernst nehmen.“
Kunst kann zeitlich begrenzt sein wie bei vielen Aktionen in Graz-St. Andrä oder auch in Form künstlerischer Gestaltungen, die für Jahrzehnte Räume und Orte prägen. In der Diözese Linz sind in den letzten 15 Jahren mehr als 200 Sakralräume von Künstlerinnen und Künstlern durch Direktvergabe oder nach Wettbewerben neu gestaltet worden, das Kunstreferat der Diözese Linz ist hier der Ansprechpartner. „Dazu gratuliere ich, da ist die Diözese Linz eine Nasenlänge voraus“, sagt Glettler anerkennend. Immer schon sei in den Kirchen auf Qualität geachtet worden. Auf den Rat der Experten zu vertrauen, sei dabei wichtig: „Was Kunst ist, bestimmen die Experten und nicht der Pfarrkirchenrat.“ Experte wird man durch viel „Kunst-Schauen“, jahrelange Erfahrung, durch Vergleiche und die Begegnung mit Kunstschaffenden. Was die Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten bringt, zeigen an diesem Studientag eindrucksvoll zwei Praxisbeispiele: die Neugestaltung der Trauerkapelle in Pabneukirchen durch Alois Mosbacher und der Pfarrkirche Wels-Heilige Familie durch Gerold Tagwerker.
Bischof Glettler warnt davor, Kunst als Allheilmittel gegen Lebensfrust und Erschöpfungszustände zu sehen, sie sei auch kein oberflächliches Dekor für einen bürgerlichen Lebensstil: „Zeitgenössische Kunst ist zu einem großen Teil Ware, Spekulationsgut und Kapitalanlage“, erklärt Glettler nüchtern. Hier brauche es die Unterscheidung der Geister. – In erster Linie gehe es in den konkreten sozialen Lebensbereichen um Begegnung, um den Aufbau belastbarer Beziehungen, um Nähe und Trost, um Solidarität und Seelsorge. „Es geht nicht um die Ausstattung kirchlicher Räume mit Artefakten.“ Das hat seinen Platz und seine Bedeutung. Alte und neue Kunst – beides hat seinen Wert und stiftet Identität.
„Eine Aufgeschlossenheit der Kirche für die Kultur der Zeit ist aber schlichtweg ein Gebot der Gastfreundschaft“, so Glettler. Bei zeitgenössischer Kunst gehe es oft darum, gesellschaftliche Prozesse in Gang zu bringen, einen Stadtteil neu zu entwickeln und Netzwerke zum Schutz von schwächeren Mitgliedern zu schaffen. Dass Kirche für alle da ist, auch für die „anderen“, für Randgruppen und Kirchenferne, diesen Gedanken der Universalität bekräftigt Glettler auch abends als Referent bei der „Thomasakademie“.
Kunst könne helfen, dieses Mehr des Lebens im Blick zu haben, und bringe ein Plus an Vitalität und Intensität, auch für die eigene Gemeinde – und das eigene Leben. „Ich bin dankbar für die Begegnungen mit Künstlerinnen und Künstlern“, sagt Bischof Hermann Glettler, „für das Mehr an Lebensfreude, Wachsamkeit und Aufmerksamkeit“. Und das spürt man.
1. Bild
Bewusst alles versäumen. Das war im Jahr 2007 das Programm von Christian Eisenberger, der in der Fastenzeit 40 Tage lang auf der Orgelempore in der Pfarrkirche St. Andrä lebte und arbeitete und schwieg. In dieser Zeit verhüllte er Altar und Ambo mit Verpackungskarton und Holzstangen (Bild) – eine Neuinterpretation des Fastentuchs. Bischof Hermann Glettler warnt allerdings allgemein vor zu viel Interpretation: „Ich fühle manchmal den Auftrag, das Säkulare, das Sperrige und Unverständliche der Kunst vor dem allzu gut gemeinten Zugriff übereifriger spiritueller Interpretationen schützen zu müssen.“
Info: www.ku-linz.at, www.dioezese-linz.at/kunst. Eine Veranstaltung von Institut für Pastorale Fortbildung, Kunstreferat und KirchenZeitung.
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