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Warum haben Sie sich mit den menschlichen Abgründen in Form des Kabaretts beschäftigt?
Rudolf Habringer: Das Kabarett „Das Leben ist ein Hund“ ist ein Auftragswerk der Arbeiterkammer OÖ. Es ging darum, zu schauen, wie es den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern heute geht: Was machen der Stress in der Arbeit, der Zeitdruck, die Doppelbelastung Beruf und Familie mit den Menschen? Was bleibt auf der Strecke? Wenn jeder Zehnte suchtgefährdet ist und jeder Vierte Depressionen hat, sagt das etwas aus über den Zustand der Gesellschaft.
In der Vorweihnachtszeit werden die psychischen Krisen noch mehr, gleichzeitig wird eingekauft, als würde dadurch die Welt gerettet. Welche Rolle spielt der Konsum?
Habringer: Die Wirtschaft will den dauerbedürftigen Menschen. Es müssen ständig Bedürfnisse und Sehnsüchte geweckt werden – nach dem Motto „Ich muss mir was kaufen, dann geht es mir wieder besser“. So betrachtet ist ein aus sich heraus kreativer Mensch ein wirtschaftlicher Totalausfall.
Was brauchen Sie persönlich zum Leben und was ist in Ihren Augen wirklich wichtig im Leben?
Habringer: Darauf gibt es nicht eine Antwort, sondern ein Bündel von Antworten. Statussymbole und Dienstwagen zähle ich nicht dazu. Mir fällt dazu das Buch von Bronnie Ware* ein. Sie hat als Palliativpflegerin Sterbende begleitet und von vielen Patienten das Bedauern gehört, nicht das Leben gelebt zu haben, das sie gerne geführt hätten. In Anlehnung daran würde ich sagen, mir ist wichtig: Freundschaften und Beziehungen zu pflegen, das Experiment Familie, das Erlebnis der Natur, die Begegnung mit Kunst, die Fähigkeit, ein Instrument spielen zu können und mich damit so ausdrücken zu können, wie es mir behagt.
Kann die Kunst helfen, mit den Anforderungen des Lebens besser zurechtzukommen?
Habringer: Die Kunst, die Musik, die Literatur: All das kann Menschen helfen, ihr je Eigenes zu finden. Es geht darum, das Feuer in sich zu entdecken. Kunst und Kultur machen das Leben reicher. Die Literatur war für mich eine Möglichkeit, mir die Welt zu erschließen, sie war ein Tor in die Welt. Die Erfahrung der Musik war für mich als Internatskind lebensrettend.
Im Advent wird viel gesungen und musiziert. Die Bedeutung von Kunst und Kultur wird gerne bei offiziellen Anlässen in Kirche und Gesellschaft betont. Wie sieht die Realitität von Kunstschaffenden aus?
Habringer: Es gibt so schöne Sätze wie „Kultur ist Lebensmittel für die Menschen“. Da stellt sich dann die Frage, wie ernst gemeint ist das, wenn Politiker in Sonntagsreden davon sprechen, dass Kultur und Kunst unverzichtbar seien. Wenn man sich die Situation von Kunstschaffenden anschaut, sieht man, dass sie ein durchschittliches Monatseinkommen von 1.000 pro Monat haben und 37 Prozent der Kunstschaffenden sogar unter der Armutsgefährdungsgrenze leben. Die Kulturförderungen für die freie Szene sinken ständig, die Förderung für Literatur liegt bei 0,1 Prozent des Kulturbudgets. Oberösterreich ist zwar reich an kulturellen Traditionen, das Musikschulwesen ist einzigartig, das Chorwesen lebendig, aber die Situation für Kunstschaffende, die von ihrer Kunst leben wollen, ist prekär. Da fehlt es an Wertschätzung, die sich auch monetär ausdrückt.
Immer wieder betonen Hirnforscher wie Gerald Hüther, wie wichtig die Förderung des kreativen Denkens und Schaffens für die Persönlichkeitsentwicklung sei. Was müsste hier passieren?
Habringer: In den Schulen sollten Fächer wie kreatives Schreiben aufgewertet werden. Stattdessen hat die Wirtschaft die digitale Revolution ausgerufen. Vor 20 Jahren war es der Computer, jetzt sind Internet und Laptops die Rettung. Ich bezweifle das.
Zu Weihnachten steht ein Kind im Mittelpunkt des Geschehens. Sie sind Vater von zwei Kindern: Was haben Sie von Ihren Kindern gelernt?
Habringer: Einer meiner Söhne hat einmal gesagt: „Es ist komisch, dass es uns gibt!“ Wenn man darüber nachdenkt, wie vielen Zufällen wir unsere Existenz verdanken, dann kommt man ins Staunen. Und dieses Staunen können Kinder sehr gut artikulieren. Wenn ich an meine Kinder denke, dann kann ich nur sagen: Ich bin froh, dass es sie gibt. Zeit mit ihnen zu teilen, ist was vom Schönsten.
Sie haben auch Satiren über die Advent- und Weihnachtszeit geschrieben. Es scheint so, als könnte man sich Weihnachten nicht entziehen ...
Habringer: Weihnachten ist die große Klammer, die alle noch betrifft. Zu diesem Fest haben noch alle einen Bezug. Vieles spielt sich zwischen Kommerzialisierung und Ikonisierung ab. Da gibt es die Krippentradition, die Weihnachtsgeschichten, die Lieder. Und dann gibt es auch ein Bedürfnis nach Unterhaltung mit Tiefgang. Ich habe zwei Satire-Bände zur Weihnachtszeit herausgebracht: „Dieter Bohlen kommt zur Krippe“ und „Felix Baumgartner reißt einen Stern“. Das Volkstheater und das Kabarett ermöglichen uns – in der Tradition Nestroys –, aufzustehen gegen die Verhältnisse, die einen niederdrücken, die einem wehtun. Wenn man darüber lachen kann, bekommt man auch ein wenig Distanz dazu.
Donnerstag, 19. Dezember, 19 Uhr, Lehártheater Bad Ischl, „Heute brennt schon wieder der Baum – ein satirisches Pyromanenspiel mit Rudi Habringer“
*Buchtipp: Bronnie Ware, 5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen, Verlag Arkana, 2018.
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