
Es ist ein unscheinbarer Ort im Osten Österreichs, in dem von 1939 bis 1945 bis zu 70.000 Soldaten interniert gewesen sein sollen: Kaisersteinbruch. Heute gibt es weder Wirtshaus noch Geschäfte dort, dafür aber eine Feuerwehr. Der einzige Arbeitgeber ist das Militärhundezentrum. Auf dem militärischen Sperrgebiet stehen alte Anlagen aus der Zeit des Kriegsgefangenenlagers, auch einen Lagerfriedhof gibt es. Die ruhigen Bilder der Landschaft und Umgebung in Reinhard Tötschingers Film erzeugen oft ein Gefühl der Verlassenheit und der Trostlosigkeit. Auf den ersten Blick lässt sich gar nicht erahnen, welch reiche Geschichte sich dahinter verbirgt. Kein Wunder also, dass viele der Bewohner:innen davon nur wenig oder gar nichts wissen. Archivmaterial, bestehend aus historischen Fotos und Filmaufnahmen, sowie auch eingesprochene Erlebnisberichte geben einen (oft bedrückenden) Eindruck vom Leben im Kriegsgefangenenlager. Sie lassen verstört und ratlos zurück: Wie können Menschen einander das antun? Der Film zeigt unaufgeregt, aber eindrücklich, wie Krieg noch über Generationen hinaus Menschen prägen kann. Immer wieder kommen Menschen nach Kaisersteinbruch, um die Wege ihrer Väter oder Großväter nachzuzeichnen, die hier inhaftiert worden sind. Sie bringen Briefe, Fotos, Erinnerungsstücke, erfahren hier Neues oder gedenken einfach ihrer Vorfahren. Wie eine französische Familie, die am Jahrestag der Ankunft des Großvaters das ehemaliger Lager besucht. Oder eine Dame, deren Mutter ihr nie erzählen wollte, dass ihr Vater ein Franzose aus dem Kriegsgefangenenlager war. Der Film von Reinhard Tötschinger erzählt von vielen Arten der Suche: nach den Spuren von Verwandten und Antworten, nach der Identität und Zukunft eines Ortes, nach Aufarbeitung des Vergangenen.
„Ort ohne Erinnerung. Kaisersteinbruch, die verschwundene Geschichte, Buch und Regie: Reinhard Tötschinger, OÖ-Premiere 5. 12., Moviemento Linz, in Anwesenheit von Reinhard Tötschinger

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