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Auf Einladung der Pensionistinnen und Pensionisten des Pastoralamts kam Christine Maria Grafinger nach Linz. Im Gepäck hatte die zierliche Bibliothekarin ein paar Faksimilies (Kopien) von Handschriften, Briefen, Katalogen und Landkarten. Worin genau der Unterschied zwischen den einzelnen Schriften besteht, erklärte sie dem Publikum detailliert und praxisnah. Als wäre es ein Krimi, berichtete sie davon, welche Auswirkungen die Kirchenspaltung in der Zeit von 1378 bis 1417 hatte. Dass die Bibliothek in Avignon bei null anfangen musste und sich nach der Spaltung der kostbare Bibliotheksschatz teilte. 1450 wurde die heutige Vatikanische Bibliothek als humanistische Bibliothek gegründet: Das bedeutet, dass nicht nur theologische Schriften wie Bibeln, Bibelkommentare und Texte der Kirchenväter, sondern auch Werke der klassischen Literatur, Medizin und Rechtswissenschaften gesammelt wurden – in griechischer und lateinischer Sprache. Den Grundstock der Vatikanischen Bibliothek bilden heute 150.000 Handschriften, daneben besitzt die Bibliothek 8.300 Inkunabeln und zahlreiche Frühdrucke.
Grafinger lebt mit ihren Büchern, geht auf in der Welt der Handschriften. „Früher habe ich von 8 bis 18 Uhr gearbeitet. Nach der Pension bin ich in ein tiefes schwarzes Loch gefallen. Mir gehen die Bücher so ab!“, erzählt sie – und man glaubt es ihr. Die Fülle des dargebotenen Wissens war bei ihrem Vortrag kaum fassbar – und schlicht beeindruckend. Die Welt der Bücher hat sie schon als Kind geliebt. Sie hat viel gelesen, das Interesse für Geschichte hat sie später durch das Studium der Geschichte und Geografie vertieft und ein Doktorat in Geschichte abgeschlossen.
Als junge Frau für drei Monate nach Rom zu gehen, noch dazu ohne Italienisch zu können, war eine Herausforderung für sie. Ihr Vater meinte damals lapidar: „Das wirst du aushalten!“ Geworden sind es 33 Jahre, denn nach ihrem Praktikum erhielt sie die Einladung, zu bleiben. „Ich war die erste Frau im Vatikan. Sechs Jahre hat es gedauert, bis ich eine richtige Anstellung bekam“, erinnert sie sich. Für einen Italienischkurs hatte sie keine Zeit, ihre Italienischkenntnisse bezog sie aus der Lektüre der alten Schriften: „Du redest wie deine alten Bücher!“, sagten da manche Arbeitskollegen.
Das Leben in Rom sei nicht immer einfach gewesen, meint sie rückblickend. „Die Italiener sind sehr freundlich, doch die eigene Familie geht ihnen über alles.“ Gut aufgehoben fühlte sie sich in der Erzbruderschaft „Campo Santo“. Die Gemeinschaft ist beim deutschen Friedhof an der Südseite der Peterskirche angesiedelt. Im 15. Jahrhundert gründete man ein Hospiz für Pilger und einen Friedhof. Dort besuchte sie die Gottesdienste und ist seit einigen Jahren auch – wiederum als erste Frau – ehrenamtlich im Vorstand als Vizechefin der Erzbruderschaft tätig. Bis zum Ende dieser Tätigkeit kehrt sie nun immer wieder nach Rom zurück. Dazwischen besucht sie für einen Lehrauftrag die Uni in Augsburg oder die Pensionist/innen in Linz.
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