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„Er wusste, dass er ein erbarmungsloser, verlogener, mit Worten sich abputzender Egoist war. … Einer, der nur so tat, als wollte und könnte er mittun beim Menschsein, es aber weder wollte noch konnte, so einer war er, ein Marsianer!“ Der Wiener Psychiater Robert Lenobel – gut situiert und das, was landläufig als erfolgreich gilt – befindet sich in einer Identitätskrise und verschwindet von einem Tag auf den anderen, ohne jemandem ein Wort zu sagen. Das ist die Ausgangssituation in Michael Köhlmeiers neuem Roman. Lenobels Frau Hanna ist überzeugt, er sei verrückt geworden. Sie ruft seine Schwester Jetti herbei, die aktuell in Irland lebt. Doch bald zerstreiten sich die beiden Frauen. Jetti wendet sich an ihren und Roberts Freund, den Schriftsteller Sebastian Lukasser. Robert meldet sich bei beiden unabhängig voneinander aus Jerusalem, wo er nach den Wurzeln seiner jüdischen Herkunft und Identität sucht.
Aus dieser Ausgangskonstellation entwickelt Köhlmeier die Familiengeschichte, in der Trennungen und Abschiede lebensbestimmend sind. Die mütterlichen Großeltern wurden im KZ ermordet, diejenigen väterlicherseits haben in Israel Selbstmord begangen, der Vater hat die Familie früh verlassen, die Mutter wurde durch eine Psychose der Familie entzogen. Was das alles für die einzelnen Familienmitglieder im konkreten Leben bedeutet und wie es in den Nachkommen – auch in den Kindern der Protagonisten –
weiterwirkt, ist eine der spannendsten Fragen in dem meisterhaft, wenn auch streckenweise sehr ausschweifend und insgesamt höchst packend erzählten
Roman.
Jedem der 13 Kapitel ist ein schauriges, schwer bis kaum zu deutendes Märchen vorangestellt, voll von allen denkbaren Schrecklichkeiten. Als Märchenerzähler ist Köhlmeier ebenso bekannt geworden wie als Erzähler und Interpret antiker Mythen. Für die Romanhandlung sind die Märchen ein zusätzlicher Interpretationsaspekt, für das Verständnis aber wären sie nicht zwingend notwendig.
Michael Köhlmeier: Bruder und Schwester Lenobel. Hanser Verlag, München 2018, 540 Seiten, 26,80 Euro, ISBN: 9783446259928
Ein Lebenszeichen ist nach der Definition des Dudens ein „Anzeichen oder Beweis dafür, dass jemand (noch) lebt. Herzschlag und Atem sind die wichtigsten Lebenszeichen.“ Ein höchst vergnügliches solches hat der aus Pichl bei Wels stammende und in Klagenfurt lebende Philologieprofessor Alois Brandstetter kurz vor seinem 80. Geburtstag soeben von sich gegeben.
In seiner unverwechselbaren, gleichermaßen geistreichen wie ironischen Art widmet er sich in 24 Kapitelüberschriften den großen Fragen wie auch den Alltagsdingen, dem Zeitgeist und den Merkwürdigkeiten des Alltags. Oft geht es auch um Kindheitserinnerungen. Er verweist auf eine Unzahl großer Dichterkollegen quer durch die Literaturgeschichte, von Ovid über Stifter bis Thomas Bernhard oder H. C. Artmann und auf die weitgehend vergessene Brigitte Schwaiger, aber auch auf seine eigenen Bücher. Er philosophiert über das Essen und Trinken, über das Wetter, den Glauben und den Aberglauben, über die Bedeutung von Wörtern und Namen, häufig von der oberösterreichischen Mundart ausgehend. Er kommt dabei vom Hundertsten ins Tausendste, was ja auch von jeher eines der Brandstetter’schen Markenzeichen ist. „Lebenszeichen“ ist ein sehr persönliches Buch geworden, das die Fangemeinde erfreuen wird. Für solche, die Brandstetter noch nie gelesen haben, kann das Buch ein Einstieg in sein Œuvre sein.
Alois Brandstetter: Lebenszeichen.
Residenz Verlag, Salzburg/Wien 2018. 254 Seiten, 24 Euro. ISBN: 9783701717026
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