In diesen schwierigen Zeiten stellen die Salzburger Hochschulwochen heuer die Frage „Wie geht es weiter? Zur Zukunft der Wissensgesellschaft.“ Eva Jonas zählt zu den hochrangigen Referent/innen der Sommeruniversität und widmet sich dem Thema aus sozialpsychologischer Sicht.
Wir leben in Zeiten vieler Krisen, die nicht enden wollen. Was macht das mit uns Menschen aus Ihrer Perspektive als Sozialpsychologin?
Eva Jonas: Seit Beginn meiner wissenschaftlichen Forschung hierzu im Jahr 2001 sind wir gefühlt in einem Dauerkrisenmodus – und die Krisen halten an. Wenn wir Menschen mit Diskrepanzen, mit Unvereinbarkeiten, mit Konflikten konfrontiert sind, die wir nicht auflösen können, erleben wir das als bedrohlich. Im Grunde erinnern uns die aktuellen Krisen, sei es Corona oder der Klimawandel, an die existenziellen Herausforderungen im Leben. Das führt uns die eigene Sterblichkeit vor Augen. Es wird uns bewusst, dass wir nichts dagegen machen können, dass wir nicht alles im Leben kontrollieren können, dass wir hilflos sein können, dass wir nicht immer Sinn finden, dass wir verletzbar sind. Das bewirkt, dass wir uns unwohl und ängstlich fühlen oder wir irritiert sind. Und diese unangenehmen Zustände wollen wir wieder überwinden.
Welche Wege helfen dabei?
Jonas: Verdrängen ist erst einmal eine normale und gute Reaktion, denn wir können uns nicht ständig mit Angst, mit Problemen, mit dem Tod beschäftigen, denn dann sind wir handlungsunfähig. Doch immer alles nur zu verdrängen kostet viel Energie und wir brauchen dann wieder etwas, das uns stabilisiert und stärkt. So suchen wir unbewusst nach etwas, das hilft, wieder in einen besseren körperlichen Zustand zu kommen, woran wir uns annähern können, etwas Belohnendes, was uns Klarheit gibt, was uns vertraut ist. Und hier spielen Gruppen eine wichtige Rolle: die eigene Kultur und Religion, enge Bindungen, Menschen, die uns lieb sind, aber auch Identifikationen mit einer für uns bedeutenden Gruppe – das sind Angstpuffer, die helfen, uns zu beruhigen. Diese Zuwendung zur eigenen Gruppe oder die Suche danach, wo gehöre ich dazu, wo sind die Menschen, die meine Werte teilen, geht einher mit der Abgrenzung zu jenen Gruppen, von deren Haltungen und Vorstellungen wir uns distanzieren wollen. Das hat natürlich gesellschaftliche Auswirkungen.
Welche sind das?
Jonas: Das kann zu Spannungen führen oder dazu, dass Diskussionen heftiger geführt werden, dass man weniger „sowohl, als auch“-Meinungen gelten lassen kann, sondern stärker „entweder, oder“-Standpunkte. Es führt aber auch dazu, dass Personen mit Diskriminierung zu rechnen haben, dass sie beschimpft und abgewertet werden oder Hass-postings bekommen. Ein Beispiel ist Corona, wo jetzt eine Ärztin Suizid beging, weil sie von Impfgegnern bedroht wurde; oder wo Menschen wegen ihres asiatischen Aussehens angefeindet und mit Hass und Gewalt konfrontiert wurden, weil man sie als Überträger des Corona-Virus angesehen hat. Diese Form von Aggression bringt uns aber auch von der Angst in die Annäherung und es erhöht den Glauben an Verschwörungstheorien. Wenn Menschen nach Bedrohungen an Verschwörungstheorien glauben oder wir sie ihnen zur Verfügung stellen und sie darüber etwas lesen, dann fühlen sie sich weniger ohnmächtig. Es gibt also verschiedene Krisentypen. Menschen gehen mit Konflikten unterschiedlich um.
Eine Möglichkeit wäre, sich sozial zu engagieren ...
Jonas: Natürlich. Wenn es gelingt, dass wir uns nach Bedrohungen und Ängsten mit dem Kollektiv, also mit Gruppen und natürlich auch mit anderen Menschen verbunden fühlen, dann hilft diese Emotion, wieder den Weg zur Handlungsfähigkeit zu ebnen. Das hat sich nach verschiedenen Krisen gezeigt. Nach dem Terroranschlägen am 11. September 2001 oder nach dem Anschlag auf die französische Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ 2015 sind die Leute immer wieder in Gruppen zusammengekommen, haben mit dem Slogan „Je suis Charlie“ („Ich bin Charlie“) ihre Solidarität mit den ermordeten Redaktionsmitgliedern gezeigt und haben auch gemeinsam getrauert. Zu Beginn der Flüchtlingskrise 2015 war ein unglaubliches soziales Engagement zu beobachten. Das gibt es jetzt seit der Ukrainekrise wieder. Und in der Coronapandemie haben viele Menschen Nachbarschaftshilfe geleistet.
Wie geht es Ihnen persönlich in diesen Krisenzeiten?
Jonas: Da es ja mein Forschungsgebiet ist, denke ich einerseits viel darüber nach, was passiert gerade, wie kann man das erklären, was heißt das für unsere Forschung. Andererseits bin ich in der Krise ein Teil der Krise und da ist mir natürlich meine Familie sehr wichtig. Das Kümmern um meine zwei Kinder steht bei meinem Mann und mir sehr stark im Vordergrund, wie wahrscheinlich bei allen Eltern. Und dann merke ich, dass ich manchmal sehr erschöpft bin, wie jetzt auch sehr viele Menschen. Das ist schon erstaunlich in diesem Sommer – das Gefühl zu haben, nicht mehr zu können. Doch in schwierigen Zeiten und Situationen, die ich nicht ändern kann, darf es einem auch mal schlecht gehen. Es ist wichtig, das zu akzeptieren, Selbstmitgefühl zu zeigen, sich selber zu trösten, achtsam mit sich umzugehen, aber sich auch mit anderen Menschen im Leid verbunden zu fühlen und den Austausch zu suchen. Ich glaube, es ist gefährlich, wenn man sich immer weiter zurückzieht – auch von Andersdenkenden.
Gerade beim Thema Verschwörungstheorien gibt es in der Familie oder im Freundeskreis oft verschiedene Meinungen, die zu Streit führen ...
Jonas: Ja, und das einmal beiseite zu schieben und trotzdem Zeit miteinander zu verbringen, ohne immer zu diskutieren, sondern sich zwischenmenschlich stützt, sich Kraft gibt oder einfach nur da ist füreinander. Das entspannt die Lage.
Sie werden bei den Salzburger Hochschulwochen u. a. über einen neuen Forschungsstrang Ihres Teams berichten, nämlich dass im Umgang mit Bedrohungen Utopien ebenfalls eine wichtige Rolle spielen, um wieder handlungsfähig zu werden. Welche?
Jonas: Anstatt über Bedrohungsaspekte nachzudenken, überlegt man sich Utopien à la „Wie wäre es, wenn es richtig schön und gut wäre“. Allerdings müsste man dann noch einmal darüber reflektieren, dass man Utopien an sich ja nicht umsetzen kann, da sie ja in Kontrast stehen mit der Realität. Das ist ein komplexerer Prozess. In jeder Bedrohung eine Chance zu sehen – so positivistisch würde ich nicht argumentieren wollen, aber sich über Utopien Gedanken zu machen, das hat etwas Kraftvolles und Zuversichtliches. «
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