Ein Pfarrausflug ins Salzkammergut steht bevor. Doch Rosa S.* fährt, wie schon ein paarmal davor, nicht mit. Sie hat versprochen, auf ihr Enkelkind aufzupassen. Sagt sie. In Wirklichkeit steckt dahinter, dass sich die Seniorin den Busausflug einfach nicht leisten kann, weil sie zu wenig Pension bekommt. Und sie schämt sich, darüber zu sprechen.
Bei Elisabeth M.* löst der Blick aufs Pensionskonto Sorge und Unbehagen aus. Wenn die 57-Jährige in zwei Jahren ihren Ruhestand antritt, wird sie mit 1000 Euro Pension rechnen können. Momentan ist sie mit ihrem Lohn von 1800 Euro zufrieden und die Arbeit macht ihr Spaß. Doch mit 1000 Euro wird es knapp, über die Runden zu kommen; allein ihre Miete macht 730 Euro aus.
Warum Elisabeth M. keine höhere Pension bekommt, hängt mit ihren Beschäftigungs- und Versicherungszeiten davor zusammen. Die studierte Germanistin blieb, als ihre vier Kinder noch klein waren, bei ihnen zu Hause und hat danach lange freiberuflich und Teilzeit gearbeitet. Ihre Ehe ging in die Brüche und es kam zur Scheidung. Erst ab 2011 war es Elisabeth M. möglich, Karriere zu machen in Vollzeittätigkeit und bei guter Bezahlung. Doch das wirkt sich nur mehr geringfügig auf ihre Pension aus. „Altersarmut beginnt nicht mit dem ersten Tag der Pension, sondern bereits früher“, sagt Renate Moser von der Seniorenpastoral, der Plattform für Geschiedene und Wiederverheiratete in der Kirche (WIGE) der Erzdiözese Wien und von der Plattform „Altersarmut bei Frauen – alt.arm.weiblich“. Für die Pensionsberechnung wurden bis zur Pensionsreform 2003/2004 die besten 15 Jahre herangezogen und davon das Durchschnittseinkommen errechnet. Das ergab die Pensionshöhe, die mit 80 Prozent des Durchschnittseinkommens begrenzt ist. Seither wird der Durchrechnungszeitraum stufenweise angehoben und auf ein ganzes Arbeitsleben ausgedehnt. Viele Versicherte haben deshalb hohe Einbußen die Pensionshöhe betreffend.
Vor allem vielen Frauen fehlen Zeiten – sei es weil sie wie im Fall von Elisabeth M. lange bei den Kindern zu Hause gewesen sind oder viele Jahre Teilzeit gearbeitet haben. Das wäre, so Renate Moser, z. B. bei einer funktionierenden Partnerschaft, wenn es später einmal zwei Pensionen gäbe, kein großes Problem. „Schwierig wird es allerdings, wenn sich ein Paar trennt, wenn der Partner stirbt, wenn einer von beiden arbeitslos oder krank wird. Das sind Faktoren, die dazu beitragen, dass man nach einem langen Erwerbsleben, in dem man immer fleißig war, trotzdem zu wenig Pension bekommt“, sagt die Mitarbeiterin der Erzdiözese Wien.
Aufgrund der Erfahrung, die Renate Moser und ihre Kolleginnen in den Pfarren, bei Dekanatsbesuchen und auch im privaten Umfeld gemacht haben, zeigte sich, dass Altersarmut bei Frauen ein zunehmend aktuelles Thema ist. „Deshalb haben wir – die Seniorenpastoral, die Kontaktstelle für Alleinerziehende, die Plattform WIGE und die Stadtdiakonie Wien – beschlossen, dagegen etwas zu tun und gründeten Anfang des Jahres die Plattform ,Altersarmut bei Frauen‘. Derzeit stehen wir noch am Beginn und planen künftig Veranstaltungen, wollen eine Homepage ins Leben rufen und eine Broschüre herausgeben.“
Ein großes Problem im Hinblick auf Altersarmut ist das Thema Scham. „Es gibt eine versteckte Armut, die man den Frauen nicht ansieht. Wir wissen z. B. von der Gruft, der Obdachlosen-Einrichtung der Caritas in Wien, dass dort Damen im Pelzmantel zum Essen kommen. Der Schein des Reichtums trügt, ihre Wohnungen sind ungeheizt und sie stellen sich zur Essensausgabe an, weil jeder Cent umgedreht werden muss“, berichtet Renate Moser. Das bedarf auf der einen Seite einer besonderen Sensibilität hinzuschauen und den Menschen, die sich davor schämen, behutsam zu begegnen, meint Moser. „Auf der anderen Seite ist es für uns eine Herausforderung, Hilfsangebote und Unterstützungsmöglichkeiten zusammenzutragen.“
Auch die Sozialmärkte „Le+O“ von der Caritas oder „SOMA“ haben in Wien einen extrem hohen Zulauf. Immer mehr Menschen aus dem Mittelstand kommen dorthin, auch gut ausgebildete Frauen mit einem Studium. „Altersarmut ist mitten in der Gesellschaft angekommen. Wir haben in unserer täglichen pastoralen Arbeit oft damit zu tun.“
Laut neuem Regierungsprogramm soll es leichter werden, in der Pension dazuzuverdienen. „Wer das möchte, soll das gerne tun können. Aber dass man grundsätzlich etwas dazuverdienen muss, weil man es mit der normalen Pension nicht schafft, ist sozial ungerecht. Gerade Frauen haben sehr viel dazu beigetragen, den Staat zu entlasten, indem sie bei den Kindern zu Hause geblieben sind und beruflich zurückgesteckt haben. Und das wird bestraft, wenn die Frauen älter sind. Das finden wir unfair“, sagt Renate Moser. Über die Plattform will man deshalb die Öffentlichkeit zu diesem Thema sensibilisieren, immer wieder Forderungen an die Politik stellen, Kräfte und Erfahrungen bündeln und sich mit Einrichtungen vernetzen. „Außerdem möchten wir präventiv wirken und junge Frauen darauf aufmerksam machen, welche Schwierigkeiten es bezüglich der Pension geben kann“, erläutert Renate Moser.
Ein konkreter Appell an die Politik sei, so Moser, „die uralte Forderung gleicher Bezahlung bei gleicher Arbeit für Frauen und Männer. Denn die Gehaltsunterschiede bedeuten auch für die Pension eklatante Unterschiede. Es ist uns zudem ein großes Anliegen, dass den Vätern die Väterkarenz und die Teilzeitarbeit noch leichter ermöglicht wird. Und wir fordern, anständige Gehälter zu bezahlen, die höher sein müssen als die Mindestsicherung.“ Es sei verwunderlich, kritisiert Renate Moser, dass Menschen, „denen wir unsere alten Angehörigen oder unsere Kinder anvertrauen, sei es in Pflegeeinrichtungen oder in Kindergärten, sehr schlecht verdienen im Vergleich zu Menschen, die z. B. unser Geld verwalten. Hier muss angesetzt werden, diese Jobs wertzuschätzen. Und das muss sich auch finanziell niederschlagen.“ Dazu kommt der enorme gesellschaftliche Beitrag, den Frauen leisten, indem sie beruflich zurückschrauben, um zu Hause nicht nur die Kinder zu erziehen, sondern zu 99 Prozent die Pflege der älteren Angehörigen übernehmen. „Dafür sollen sie später nicht aus allen Wolken fallen, weil die Pension so niedrig ist.“
Zur geringen Pension komme auch noch ein Rattenschwanz an sozialen Faktoren dazu, macht Renate Moser bewusst. „Wenn man aus finanziellen Gründen gewisse Dinge nicht mitmachen kann, wie einen Pfarrausflug, dann kommt es zu Einsamkeit, man fühlt sich ausgegrenzt und herausgerissen aus dem Freundeskreis und ist eingeschränkt in den Entscheidungsmöglichkeiten. Auch dagegen wollen wir auftreten.“
www.neuespensionskonto.at
www.sozialministerium.at/site/Pension_Pflege/Pensionen
* Namen von der Redaktion geändert
In Österreich sind laut EU-SILC (Europäische Gemeinschaftsstatistik über Einkommen und Lebensbedingungen, 2016) derzeit 203.000 Menschen über 65 Jahre von Armut betroffen, davon sind 136.000 Frauen. Die aktuelle Armutsgefährungsschwelle beträgt 1185 Euro im Monat für einen Einpersonenhaushalt. Bei älteren Menschen beträgt die Armutsgefährdungsquote 13 Prozent, bei Frauen über 65 Jahre sind es 16 Prozent. Alleinlebende Pensionistinnen liegen mit 20 Prozent Armutsgefährdung über der Risikogruppe von alleinlebenden Pensionisten (11 Prozent). Die durchschnittliche Alterspension in Österreich beträgt für Männer 1419 Euro, für Frauen 842, das sind 40 Prozent weniger.
Quelle: Statistik Austria, EU-SILC 2016
Erfahrungen aus dem Alltag mit einem autistischen Jungen >>
Jetzt die KIRCHENZEITUNG 4 Wochen lang kostenlos kennen lernen. Abo endet automatisch. >>