Das ist nicht illegal, kann aber für die Kinder negative Auswirkungen haben.
Immer wieder begegnen der Bundesstelle für Sektenfragen Fälle, wo Kinder aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen vom Schulunterricht isoliert werden. Das gibt die Behörde in ihrem Sonderbericht „Abschottung im Zusammenhang mit häuslichem Unterricht“ bekannt.
Manchmal gehören die Familien sektenartigen Gruppierungen an und/oder es wird dem Staat an sich misstraut und das Bildungssystem abgelehnt. Von einem solchen Fall berichtet etwa die Lehrerin Monika Rieger (Name von der Redaktion geändert) aus einer Volksschule im Bezirk Vöcklabruck.
Es gab dort zwei Kinder, die zunächst ganz normal zum Unterricht erschienen. „Dann kam Corona, doch schon davor hat sich gezeigt, dass die Eltern Schwierigkeiten hatten, das Schulsystem und die dazugehörigen Pflichten anzuerkennen. Die Pandemie gab ihnen die Gelegenheit, ihre Kinder von der Schule zu nehmen und sie blieben dann im Heimunterricht“, erzählt Monika Rieger.
Zu den jährlich vorgeschriebenen Externistenprüfungen zur Feststellung des Lernerfolgs sind die Kinder nicht erschienen. Mehr als ärgerlich für die Schule: „Wir hatten alle Prüfungsunterlagen schon vorbereitet.“ Auch die Eltern eines anderen Schülers ignorierten die Verpflichtung zur Externistenprüfung und zahlten stattdessen monatelang eine Verwaltungsstrafe.
Erst bei Drohung mit dem Familienamt schickten sie den Sohn wieder in die Schule. „Der Bub schrieb gute Noten und schien sich zu freuen, dass er wieder bei den anderen Kindern ist.“
Die Bundesstelle für Sektenfragen kritisiert, dass Instrumente fehlten, die einen Einblick geben in die soziale und psychische Entwicklung der Kinder, die im Heimunterricht sind.
Speziell im Fall einer sozialen oder ideologischen Abschottung bestehe die Gefahr, dass die Kinder in der Entwicklung ihrer Persönlichkeit behindert würden. Wenn es wenig Kontakte außerhalb des Familienkreises gibt und auch der Schulbesuch umgangen wird, können Kinder und Jugendliche in einer Art Parallelwelt aufwachsen, wodurch es ihnen später schwerfällt, sich in einem „normalen“ Arbeitsfeld zu integrieren.
Von diesen Gefahren abgesehen gibt Elisabeth Schalek, Leiterin der schulpsychologischen Beratungsstelle in Linz, die schwierige Doppelrolle zu bedenken, die man als Mutter und gleichzeitig Lehrerin hat. „Kinder können von Außenstehenden Dinge oft besser, leichter, schneller annehmen, weil es nicht die enge Bindung zur Lehrerin gibt, wie sie sie zur Mutter oder zum Vater haben.“
Auch Monika Rieger aus der Volksschule im Bezirk Vöcklabruck erzählt, dass viele den Aufwand zu Beginn unterschätzt haben: „Eltern haben gemerkt, dass der Unterrichtsstoff sehr vielfältig ist und didaktisch aufbereitet werden muss. Und es reicht nicht, sich einmal in der Woche hinzusetzen.“
Hedwig Hartmann, Direktorin der NMS Marianum in Freistadt, beobachtete gewisse Unterschiede in der Sozialisierung von Kindern, die vom häuslichen Unterricht in eine „normale“ Schule umsteigen.
„Etwa in der Arbeitshaltung merken wir Unterschiede. Ein Schüler ist in der zweiten Klasse zu uns in den regulären Unterricht gekommen. Er hat über jeden Punkt minutenlang diskutiert, was im häuslichen Unterricht vielleicht möglich ist, aber in der Klassensituation geht das nicht immer.“
Außerdem sei aufgefallen, dass er in gewissen Fächern gewaltige Mängel habe, in anderen aber wiederum sehr gut abschnitt. Hartmann führt das auf die Vorlieben und Vermittlungsfähigkeiten der Eltern zurück.
Auch wenn die Eltern engagiert und die Leistungen des Kindes in Ordnung sind, kann die soziale Integration bei Wiedereintritt in den regulären Schulunterricht leiden – wie bei jenem Mädchen in Monika Riegers Klasse.
Dessen Mutter beschreibt Rieger als sehr bemüht: „Man merkte, sie ist gut vorbereitet und das Mädchen hat zu Hause fleißig gelernt. Im letzten Semester der vierten Klasse kam sie wieder in die Schule.“
Das Mädchen habe einige Wochen benötigt, bis es sich wieder eingewöhnt hat: „Ihr fehlte ganz klar die Struktur, sie war den zeitlich begrenzten Ablauf in der Schule nicht mehr gewöhnt.“
Manche Mitschüler:innen waren von ihrer Anwesenheit irritiert: „Warum kommt die jetzt wieder?“ und „Wir müssen jeden Tag in die Schule gehen und Hausübung machen!“ – solche Aussagen waren dann von den Schüler:innen zu hören. Auch so manche Eltern zeigten nur wenig Verständnis für die Mutter, dass sie ihr Kind in den häuslichen Unterricht genommen hat und die „normale Schule nun wieder gut genug“ sei.
Für die Kinder- und Jugendanwaltschaften (KIJA) gibt es in Einzelfällen gute Gründe, Kinder zu Hause zu unterrichten, etwa als Maßnahme zum Schutz bei Schulangst oder Mobbing, wenn das Kind schwer krank ist oder aus familiären Gründen. Schalek hat etwa einige Kinder mit Long Covid betreut, die es körperlich nicht geschafft hätten, in die Schule zu gehen.
Werde der Heimunterricht zu lange ausgedehnt, komme die Entwicklung der sozial-emotionalen Kompetenzen der Kinder zu kurz. „Schule dient nicht nur der Wissensvermittlung, dort kommen die Kinder mit Gleichaltrigen in Kontakt und lernen, wann sie sich zurücknehmen müssen, wie sie sich durchsetzen können, wie sie mit Erfolgen und Misserfolgen umgehen können. Das bereitet sie auch auf die Arbeitswelt vor.“
Die Bedürfnisse der Kinder, wie jenes nach Kontakt zu Gleichaltrigen, sollten jedenfalls immer im Vordergrund stehen.
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