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„Was uns als westliche Gesellschaft ausmacht ist nicht der zwanghafte Konsens, sondern, den friedlichen Diskurs auszuhalten.“ Mit klugen Sätzen wirbt Rechtsanwalt Biegler um Sympathie im Kammerspiel „Gott“, das Ferdinand von Schirach für Theater und Fernsehen verfasste. Anwalt Biegler unterstützt Richard Gärtner, einen gesunden 78-Jährigen, der nach eigenen Aussagen „nicht mehr will“, weil seine langjährige Ehefrau vor drei Jahren an Hirntumor verstarb. Viel mehr Erklärung für den Todeswunsch gibt es nicht, allerdings ist die Frage nach dem Warum nicht relevant, wenn man das Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020 in den Blick nimmt. „Die Entscheidung des Einzelnen, dem eigenen Leben ... ein Ende zu setzen, ... bedarf keiner weiteren Begründung oder Rechtfertigung, sondern ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren“, so heißt es dort. Die Konsequenz in diesem Urteil: Beihilfe zur Selbsttötung darf nicht wie bisher nur privat erlaubt sein (da unterscheidet sich das deutsche Recht vom österreichischen!), sondern muss auch von „Profi-Anbietern“ möglich sein, im Sinne der Chancengleichheit.
Der Film „Gott“ von Schirach ist eine Art Erklärvideo zu dieser Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichts. 92 Minuten lang unterhalten sich sechs Expertinnen und Experten im Rahmen einer „Sitzung des Deutschen Ethikrates“ darüber, ob ein todeswilliger Mensch von einem Arzt oder einer Ärztin ein tödliches Medikament erhalten soll, um sich damit das Leben zu nehmen. Dabei baut der Autor des Stückes wie schon beim Film „Terror“ vor vier Jahren ein sonst eher von Internetplattformen oder Talkshows bekanntes Element ein: die Zuseher/innenbefragung. Zehn Minuten lang hatte das Publikum nach der Sendung Zeit, über die Frage des Films abzustimmen. 70 Prozent der Teilnehmenden befürworteten, dass Richard Gärtner das Gift bekommt, 30 Prozent lehnten das ab. Eine Abstimmung über diese Frage sei von vornherein nicht sinnvoll, kritisiert der Grazer Moraltheologe und Medizinethiker Johann Platzer. „Bei so existenziellen Konflikten darf es keine Schwarz-Weiß-Sicht geben, vorzeitig zu urteilen in die eine oder andere Richtung ist unangebracht.“
Das Kammerspiel „Gott“ bietet außerdem keine Grundlage für so ein schwerwiegendes Urteil. Zwar ist es gespickt mit Statistiken rund um das Thema Selbsttötung, doch ist der Austausch der Ansichten kein echter Dialog, sondern ein „innerer Monolog“ des Autors. Schirach legt also den einzelnen Rollen seine Vorstellungen über sie in den Mund. Dadurch entstehen klischeehafte Unterhaltungen. Bischof Thiel, der theologische Sachverständige im Stück, wirkt gütig, argumentiert aber nicht auf der Höhe der theologisch-ethischen Forschung. Dasselbe Muster wendet der Autor auch für das Präsidiumsmitglied der Bundesärztekammer, Professor Sperling, an. Dazu kommen zahlreiche subtile Wertungen durch die Dramaturgie des Stückes. Während alle anderen Expert/innen brav auf ihren Stühlen sitzen, nimmt einzig der Anwalt des Todeswilligen den ganzen Saal ein, indem er hin und her geht, während er spricht, häufig auch hinter den Personen, die er gerade anspricht, sodass sich diese nach ihm umdrehen müssen. Während er von einem persönlichen Lieblingsthema ins andere hüpft, holt er wie aus einer Wundertüte verschiedene Requisiten aus seiner Tasche, etwa eine schwarz gebundene Bibel mit goldenem Kreuz, um mit Bischof Thiel ins Kreuzverhör zu gehen, zu dem auch Erbsünde und sexueller Missbrauch gehören. „Die theologischen Kenntnisse des Autors sind auf dem Gymnasiasten-Niveau der Post-68er-Zeit geblieben“, befindet der Theologe Józef Niewiadomski.
Unklar bleibt, warum das Stück nach Gott benannt ist. Eine Spur ergibt sich, als der todessehnsüchtige Richard Gärtner mitten in der Diskussion aufspringt und den Vertreter der Ärzteschaft, der verteidigt, warum 60 Prozent der Ärzt/innen keine Suizidbeihilfe leisten wollen, anfährt: „Warum glauben Sie, Sie können sich für Gott halten?“ Man könnte die Frage auch umgekehrt stellen: Für Gott hält sich, wer Herr über Leben und Tod sein möchte. Im Gegensatz zum undurchschaubaren Titel des Stückes ist die Sympathie des Autors durchschaubar, sodass auch das Ergebnis der Publikumsabstimmung nicht überrascht. Im Sinne des „friedlichen Diskurses“ aus dem Eingangszitat ist es keine verlorene Zeit, sich diesen Film anzuschauen. Allerdings verlangt er höchste Konzentration, da die Dichte an Informationen hoch ist. Wenn die Konzentration nachlässt, kann man auch die schlichte Eleganz des dunkel getäfelten, modernen Raumes genießen, in dem sich die Sitzung abspielt. «
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