An einem Mittwochnachmittag im Spätsommer. Bei Sonnenschein fahre ich in Innsbruck auf die Autobahn Richtung Salzburg auf. Nur mit Mühe reihe ich mich in den zähflüssigen Verkehr ein. Bald kommt die Fahrt ins Stocken. Keine Baustelle und kein Unfall bremsen den Verkehr, trotzdem geht es nur langsam voran.
Die rechte der zwei Autobahnspuren gehört den Lastkraftwagen (Lkw), die linke den anderen Verkehrsteilnehmenden. Die erlaubte Geschwindigkeit beträgt hier 100 Kilometer/Stunde, mehr ist im dichten Verkehr aber ohnedies nicht möglich. Im Gegenteil: Die 25 Kilometer bis Vomp lege ich in einer halben Stunde zurück, also mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 50 km/h.
Mein Ziel ist die Luftgüte-Messstelle in Vomp, eine von insgesamt 20, die das Land Tirol betreibt. Die Messstelle liegt an der Autobahn, hier treffe ich mich mit Fritz Gurgiser vom Transitforum Austria-Tirol. Gurgiser lebt in Vomp, und er kämpft seit den 1990er-Jahren gegen die Transit-Belastung in Tirol. Die Brennerblockaden rund um das Jahr 2000 mit tausenden Demonstranten und Demonstrantinnen waren die bekanntesten Maßnahmen, die der Verein setzte.
Ich frage Vereinsobmann Gurgiser: „Verkehr gibt es überall. Was unterscheidet die Verkehrsproblematik in Tirol von jener zum Beispiel in Niederösterreich?“ Gurgiser sieht den wichtigsten Unterschied in der Geländeform, denn die Berge lassen nur wenige Hauptverbindungsstrecken zu, Ausweichrouten gibt es kaum: „Es ist die Topografie, das heißt, dass alles durch ein enges Tal rollt.“ Zusätzlich zu den Gemeinde- und Landesstraßen, die das Tiroler Bergland durchziehen, führen europäische Hauptverkehrsrouten von Norden nach Süden und von Osten nach Westen durch das Land – und umgekehrt. Tirol bildet die Transitbrücke zwischen Deutschland und Italien. Wie Kabelstränge bündeln sich die Verkehrsströme in Innsbruck Richtung Süden und führen 40 Kilometer durch das enge Wipptal zum Brennerpass und damit zur Grenze nach Italien. Auf dieser Strecke überwinden die Lkw 800 Höhenmeter. Die Route führt auch über hohe (wie die Europabrücke) und lange Brücken (wie die Luegbrücke), die regelmäßig saniert werden müssen, was die Staus zusätzlich verstärkt.
Starke Luft- und Lärmbelastung sind die Folgen, die die Gesundheit der Bevölkerung und der Umwelt schädigen. Von der deutschen bis zur italienischen Grenze strömt der Lärm die Bergwelt hinauf und ist auch auf über 2000 Metern über dem Meeresspiegel noch zu hören. Dieses Grundrauschen, selbst in höchster Höhe, ist Tiroler Alltag. Bei der Luftgüte-Messstelle an der Autobahn in Vomp messe ich mit einer Handy-App die Lautstärke: Sie zeigt etwa 80 Dezibel an. Die App informiert mich, dass dieser Wert lauter Musik entspricht.
Die Luftverschmutzung lag früher als „Suppe“, wie sie hier genannt wird, über dem Inntal. Die Luftqualität wurde inzwischen besser, die „Suppe“ dünner, aber das Verkehrsaufkommen steigt immer noch, und der Lärm begleitet ihn. Maßnahmen wie Tempolimit auf der Autobahn („Lufthunderter“), Fahrverbote, Blockabfertigung für Lkws einerseits und Bau von Lärmschutzwänden andererseits sollen das Verkehrsproblem in Schach halten. Das ist aber schwierig, wenn ein Land in den Interessensphären großer Nachbarn wie Deutschland und Italien liegt, die nicht nur in der Europäischen Union viel zu sagen haben, sondern auch in der Alpenkonvention, einem Vertrag zwischen den Alpenländern aus dem Jahr 1991, der eigentlich die Alpen schützen soll.
Die Lkw-Fahrten über den Brenner erreichten 2022 laut Autobahnbetreiber Asfinag den bisherigen Spitzenwert von 2,48 Millionen im Jahr. 2010 waren es noch 1,85 Millionen. „Jedes Produkt hat ein paar tausend Kilometer am Buckel“, veranschaulicht Fritz Gurgiser den Lkw-Transit, und während wir darüber reden, prescht ein Lkw nach dem anderen an der Luftgüte-Messstelle vorbei.
Er ergänzt: „Was wir heute haben, ist nicht mehr Warenverkehr, sondern Warenkreisverkehr.“ Er meint damit, dass Waren zur „Produktveredelung“ nicht nur von A nach B, sondern kreuz und quer transportiert werden. Wie kann sich Tirol, das sich seit Jahrzehnten gegen die wachsende Verkehrslawine wehrt, aus dem Lkw-Chaos befreien? Am einfachsten wäre ein Tempolimit, wie Transitforum-Obmann Gurgiser sagt: „Es reduziert Abgase, Lärm, Todesfälle und den Spritpreis.“
Ich verlasse Vomp wieder, reihe mich auf der Autobahn Richtung Innsbruck ein, den Schwerverkehr an meiner Seite. Er ist eine ständige Herausforderung für eine alpine Region wie Tirol.
Heute gilt Verkehrsvermeidung auch als wichtiger Teil des Klimaschutzes. Dass dieser höchst an der Zeit ist, zeigen Bergbrüche und Muren, die Straßen verschütten, weil extremes Wetter dem alpinen Raum zusetzt. Die Brennerblockaden besorgt dann die Umwelt sozusagen selbst. Weniger Lkw-Verkehr wäre in vielerlei Hinsicht wichtig: für bessere Luft, weniger Lärm, mehr Entspannung und Gesundheit und als Beitrag gegen die Klimakrise.
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