Vier Jahre ist es her, seit die Taliban in Kabul die Macht ergriffen. Seit die US-Streitkräfte und die übrigen NATO-Truppen Afghanistan fluchtartig verließen. Seit sich verzweifelte Menschen auf dem Flughafen der afghanischen Hauptstadt außen an Flugzeuge klammerten, von denen sie aus schwindelnder Höhe als kleine schwarze Punkte in den Tod fielen. Seit ein Baby über Stacheldraht hinweg an Soldaten übergeben wurde, auf dass es nur ja den Taliban entkomme. Seit diese in ersten Pressekonferenzen der Weltöffentlichkeit versicherten, dass sie ab nun Frauenrechte respektieren würden – „im Rahmen des Islam“. Manizha Bakhtari (ausgesprochen: Maniescha Bachtarie) kaufte ihnen das nicht ab. Zu gut kannte sie die fundamental-islamistische Gruppe, die 1996 bis 2001 bereits über Afghanistan geherrscht hatte – mit terroristischen Methoden, wie sie betont.
Als die Taliban im August 2021 wieder an die Macht kamen, war Manizha Bakhtari seit wenigen Monaten als Botschafterin Afghanistans in Wien im Amt. Nur zwei Frauen weltweit standen als Botschafterinnen im diplomatischen Dienst Afghanistans. Die Gleichstellung von Frauen war auch vor den Taliban nicht vorhanden, aber wesentlich besser als nun. Manizha Bakh-tari ist eine von drei Töchtern des großen afghanischen Dichters Wasef Bakhtari, der seine Töchter förderte. Er nannte Manizha in einer Buchwidmung „besser als jeden Sohn“, was in Afghanistan einer besonderen Auszeichnung gleichkommt. Wie sehr sich sich darüber gefreut hat, erzählt Manizha Bakhtari im Film „Die letzte Botschafterin“, der derzeit in Österreichs Kinos zu sehen ist.
Die afghanische Botschaft in Wien befand sich bei Bakhtaris Amtsantritt Anfang 2021 an einem äußerst repräsentativen Ort an der Wiener Ringstraße, in Sichtweite des Hauses der Industrie und des Palais Schwarzenberg. Während sich die Ereignisse in Kabul im August 2021 überschlugen, reifte Bakhtaris Entschluss, nicht zu resignieren, sondern Botschafterin zu bleiben, bis es eine offizielle Nachfolge gibt. Dass dieser Zustand bis 2025 und womöglich darüber hinaus halten würde, konnte man damals nicht annehmen. Doch da kein Staat der Erde (außer Russland im Juli 2025) die Taliban als afghanische Regierung anerkannt hat, würden von den Taliban entsandte Botschafter keine Akkreditierung bekommen. Dann gäbe es keinen Botschafter. Also macht Bakhtari weiter. Allerdings nicht wie bisher – das ist unmöglich, da die Taliban die Finanzierung der Botschaft eingestellt haben. Im ersten Schritt übersiedelt Bakhtari ihre Amtsräume in eine kleine Übergangswohnung in einem Hochhaus am Rande von Wien. Später findet sie ein Häuschen mit Vorgarten im 16. Bezirk, das von nun an als Botschaftsresidenz genügen muss. Auch auf die meisten Botschaftsangestellten muss Manizha Bakhtari verzichten, zwischenzeitlich bleibt ihr einzig der Chauffeur als „Bursche für alles“. Die Finanzierung der „abgespeckten“ Botschaft gelingt nur durch zwei Standbeine: Die Gebühren der Konsularabteilung und die Unterstützung der afghanischen Diaspora in Wien.
Ihren Auftrag sieht Botschafterin Manizha Bakhtari klar: Sie hält die Konsularabteilung offen, sie vertritt afghanische Anliegen bei internationalen Organisationen (wenn es auch nicht die Anliegen der Regierung sind, so doch Anliegen der Menschen) und sie setzt sich unermüdlich dafür ein, dass die Unterdrückung von Frauen und Mädchen in Afghanistan, die entgegen aller Beteuerungen unter den Taliban extrem geworden ist, nicht in Vergessenheit gerät. Aufgrund der vielen Krisenherde in der Welt wird es um Afghanistan ruhig – gefährlich ruhig, denn der Schein, dass alles in Ordnung wäre, trügt gewaltig. Mädchen dürfen nur bis 12 Jahre in die Schule gehen, Frauen dürfen das Haus nicht alleine verlassen. „Afghanistan ist wie ein großes Gefängnis“, schildert Bakhtari die Situation. In Erinnerung an ihren Vater gründete sie das „Daughters Program“ – Töchterprogramm –, das Bildung für Mädchen und Frauen in Afghanistan trotz aller Widerstände fördert. Auf zwei Arten kann man in Österreich dazu beitragen: Eine „Patin“ für ein afghanisches Mädchen werden – nicht in erster Linie finanziell, sondern indem man mit einem Mädchen oder einer jungen Frau online bzw. telefonisch in Verbindung bleibt. Zweitens, indem man das Programm durch eine Spende unterstützt.
Das alles ist nicht ungefährlich. Regelmäßig erhält Manizha Bakhtari Drohungen, auch Morddrohungen. Doch die Ehefrau und Mutter von vier erwachsenen Kindern hat sich entschieden. Sie widmet ihr Leben der Gerechtigkeit in Afghanistan. Sorgen hat sie viele, Angst hat sie nicht – wenn sie mit ihrem Einsatz nur etwas zum Guten wenden könnte. „Frieden“, sagt sie, „ist nicht die Abwesenheit von Krieg, sondern dass Gerechtigkeit herrscht.“
Filmtipp
Die letzte Botschafterin, Ö 2025, 82 min., ab 14 J.
Produktion: nataliehalla.com, goldengirls.at
Regie: Natalie Halla, Filmverleih: filmladen.at
Weitere Informationen über Manizha Bakhtari:
Manizha Bakhtari ist eigentlich Journalistin, Sprach- und Literaturwissenschaftlerin. Ihr Vater war der bekannte afghanische Dichter und Literaturprofessor Wasef Bakhtari. Ab 2007 arbeitete sie für das afghanische Außenministerium, seit 2021 ist sie Botschafterin in Österreich.
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