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Hinter dem nicht gerade einfachen Titel des heurigen Forums Alpbach steckt die Idee, dass man widerstandsfähiger ist, wenn man auf einer vielfältigen Basis steht. Könnten Sie dafür ein konkretes Beispiel nennen?
Franz Fischler: Gemeint ist, dass wir in Europa unsere Vielfalt an Kulturen, Sprachen, Landschaften und Wirtschaftssystemen erhalten sollten. Das ist unser Reichtum und Resilienz steht tatsächlich in Verbindung mit Vielfalt. Ein Beispiel aus der Landwirtschaft: Wir kennen die langfristigen Folgen des Klimawandels nicht. Es ist möglich, dass mehr Schädlinge, neue Krankheiten und andere Probleme bei Nutzpflanzen auftreten. Wenn wir aber Sortenvielfalt und Biodiversität pflegen, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass unter den vielfältigen Sorten solche sind, welche die richtige Antwort auf künftige Probleme darstellen. Diversität macht uns also robuster. Wir diskutieren das Verhältnis von Vielfalt und Widerstandskraft aber auch auf Ebene der Wirtschafts- und Sozialsysteme.
Ist im politischen System nicht die Demokratie ein Beispiel für das genannte Prinzip: Schließlich soll hier aus der Diskussion vielfältiger Meinungen eine Entscheidung herauswachsen?
Fischler: Richtig. Der Wert der liberalen Demokratie liegt nicht darin, dass einfach zwei Möglichkeiten präsentiert werden und darüber abgestimmt wird. Der Wert liegt im Diskussionsprozess, in dem auch Minderheitenmeinungen Gehör finden und in dem man gemeinsame Lösungen sucht. Der Kompromiss ist eines der wichtigsten demokratischen Prinzipien. Doch er wird immer öfter dadurch entwertet, dass wir zum Beispiel von „faulen Kompromissen“ sprechen. Dabei gibt es gerade bei den großen Problemen, die uns beschäftigen, nicht die eine Lösung, sondern es sind die Kompromisse, die taugliche Lösungen liefern.
Hätten Sie es also bevorzugt, wenn Österreichs Regierungsparteien eine breite Diskussion über die Arbeitszeitflexibilisierung zugelassen hätten, statt das ohne Begutachtung zu beschließen?
Fischler: Ich bin für die Arbeitszeitflexibilisierung. Aber wie das angegangen wurde, das war nicht professionell. Das bedeutet für mich nicht, dass man die Sozialpartner, die genug Zeit gehabt hätten, einen Lösungsvorschlag vorzulegen, wieder damit hätte beschäftigen sollen. Aber einfach drüberzufahren, ist nicht demokratisch.
Zuwanderer bringen neue Kulturen und Religionen – das macht manchen Menschen Angst. Gibt es Grenzen für die Vielfalt?
Fischler: Ich würde sagen, dass man vor allem dann an Grenzen stößt, wenn Menschen auf neue Dinge nicht ausreichend vorbereitet, also zum Beispiel nicht über die Eigenheiten fremder Kulturen informiert werden. Wir wollen ja auch, dass unsere Eigenheiten respektiert werden. In der Vergangenheit wurde hier der Fehler gemacht, zu wenig den Dialog zu suchen. So riskiert man, dass Enklaven entstehen und die Integration nicht funktioniert. Unser derzeitiges Problem in Österreich ist nicht die Zuwanderung, da aktuell nur wenige Menschen kommen. Das Problem ist die Integration. Vielfalt heißt nicht, ohne Beziehung nebeneinander her zu leben, sondern in Verbindung zu treten.
Sie haben eingangs gesagt, dass Vielfalt der Reichtum Europas sei. Aber angesichts des Brexit und des Streits um Asyl: Leidet die EU nicht an zu vielfältigen, gegenläufigen Interessen?
Fischler: Vielfalt zu leben und zu fördern bedeutet auch, mehr Freiheit zu ermöglichen. Angesichts vermeintlicher und tatsächlicher Bedrohungen steht derzeit der Ruf nach Sicherheit im Vordergrund. So, wie man versucht, Sicherheit zu gewährleisten, geht das zu Lasten der Freiheit. Hier ein neues Gleichgewicht zu finden, ist politisch schwierig. Das kann aber keine Ausrede dafür sein, es nicht zu versuchen.
Denken Sie an Staaten wie Polen oder Ungarn?
Fischler: Die Regierungen von Polen und Ungarn sind viel weiter in die falsche Richtung gegangen: Dort hält man die liberale Demokratie für einen Irrweg. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán spricht von einer neuen christlichen Demokratie, ohne aber zu sagen, was das sein soll. Hier werden Grenzen überschritten: Europäische Werte wie Toleranz verschwinden. Menschen mit abweichenden Meinungen werden mundtot gemacht.
Die katholische Kirche diskutiert auch, wieviel Vielfalt bei Entscheidungen der Ortskirchen möglich sein und was Rom einheitlich entscheiden soll. Verfolgen Sie diese Diskussion?
Fischler: Hier geht es um das Prinzip der Subsidiarität aus der kirchlichen Soziallehre. Dabei versucht man, den unmittelbar Betroffenen möglichst viel Kompetenz zu geben. Zentral sollen nur Entscheidungen fallen, wenn das mehr Qualität mit sich bringt. Die Kirche ist nicht berühmt dafür, viel Entscheidungskompetenz in die Diözesen zu verlagern. Insofern könnte sie sich selber stärker an den Text ihrer Sozialenzykliken erinnern.
Papst Franziskus argumentiert, dass sich die reichen Staaten beschränken müssen, damit es eine gerechte Verteilung der Güter der Erde geben kann. Glauben Sie das auch?
Fischler: Das ist keine Glaubensfrage, sondern eine Tatsache. Es ist auf Dauer unhaltbar, dass wir die Güter der Welt in einem Maße ausbeuten, als wäre der Globus um 50 Prozent größer. Man sollte aber nicht dauernd nur vom Verzicht sprechen. Zum Beispiel beim Fleischkonsum könnte man ja auch in den Vordergrund stellen, wieviele Lebensjahre man gewinnt, wenn man weniger Fleisch isst. Hier in Alpbach diskutiert übrigens die Initiative „Ethics in Action“ wie sich die Weltreligionen einbringen können, um zur Verwirklichung der Ziele der Vereinten Nationen für eine nachhaltige Entwicklung der Erde beizutragen.
Der Brexit, die Politik von US-Präsident Trump, die Migrationsfrage, der Klimawandel: Jungen Menschen, von denen viele nach Alpbach kommen, können den Eindruck einer allumfassenden Krise bekommen. Wie machen Sie ihnen Mut?
Fischler: Ich bin nicht damit einverstanden, von einer allumfassenden Krise zu sprechen. Wirtschaftlich haben wir den Rückschlag der Krise ab 2008 aufgearbeitet. Die Migration wird in Europa zum einzigen Problem hochstilisiert. Ich würde daher lieber von den zentralen Zukunftsherausforderungen sprechen: vom Klimawandel; von mangelnden Antworten auf die Digitalisierung; von der Tatsache, dass wir in Europa die älteste Bevölkerung der Welt haben, oder vieles mehr. Aber statt zu jammern, sollten wir uns mit den Zukunftsfragen rational auseinandersetzen, um Lösungsmodelle anbieten zu können. Dafür braucht es eine neue Art des Engagements. Nicht nur die Politik, sondern auch die Wissenschaft, die Wirtschaft und die Zivilgesellschaft sind in den Auseinandersetzungen mit den Zukunftsthemen gefragt. «
Seit 1945 kommen Wissenschaftler, Politiker, Wirtschaftstreibende, Künstler und vor allem auch viele Studenten aus aller Welt alljährlich im August in das Tiroler Bergdorf Alpbach. Im Austausch zwischen den Disziplinen sollen Lösungsansätze für die Fragen der Zeit diskutiert werden. Das heurige Forum findet zwischen 15. und 31. August statt. Die Eröffnungsrede hielt der Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz.
Apropos Nobelpreisträger: Auf dem Alpbacher Friedhof liegt ein solcher begraben, nämlich der Physiker Erwin Schrödinger. Er hatte das Dorf im Rahmen des frühen Forums Alpbach (anfangs Internationale Hochschulwochen) kennengelernt.
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