Hilfsorganisationen stellen Versorgung sicher, andere betreiben Schulen. Die MIVA ermöglicht Mobilität. Müssen Sie manchmal erklären, warum das so ist?
Christine Parzer: Ja, denn die Situation in Österreich ist absolut nicht vergleichbar mit jener in den Ländern unserer Projekte. Bei uns haben Haushalte mehrere Fahrräder und zum Teil mehrere Autos. Es gibt öffentlichen Verkehr. Rettung und Feuerwehr können uns rasch erreichen.
In unseren Partnerländern ist das ganz anders: Es fehlen Transportmittel und die Straßenverhältnisse sind prekär. Asphaltierte Strecken sind weit weg, die Fahrwege sind mit Schlaglöchern übersät und in der Regenzeit ist oft kein Durchkommen möglich. Unsere Aufgabe ist es, in der jeweiligen Situation das richtige Transportmittel zur Verfügung zu stellen.
Heißt das, dass Sie jeweils individuelle Lösungen suchen?
Parzer: Ja, deshalb ist der Austausch mit unseren Partnern vor Ort entscheidend. Bei Fahrzeugen der MIVA denken viele Menschen an helle Geländefahrzeuge, aber das ist nur eine Fahrzeugvariante. Wir haben beispielsweise ein Projekt in Indien, bei dem Schülerinnen Fahrräder zur Verfügung gestellt bekommen: einerseits, um die Fahrt zur Schule zu verkürzen; andererseits, um Eltern Sicherheit zu geben, die sich sorgen, wenn ihre Töchter zu Fuß unterwegs sind.
In Haiti setzen wir Maultiere ein. Die Transportwege dort sind vielfach mit unseren Wanderwegen vergleichbar. Das Maultier ist in diesem Fall das am besten verwendbare Transportmittel. Das reicht von Warenlieferungen auf den Markt bis zur schwangeren Frau, die auf dem Rücken eines Maultiers ins Krankenhaus kommt. Aber unsere Palette umfasst auch Boote, Busse, Traktoren und Motorräder. Auch Rollstühle sind dabei.
In welchem Zusammenhang?
Parzer: In Peru haben wir beispielsweise eine Schule für beeinträchtigte Kinder mit Kleinbussen unterstützt, welche die Schülerinnen und Schüler zur Schule und nach Hause bringen. Dort aber gibt es keine Gehhilfen für sie. Teilweise sind die Kinder am Boden gekrochen. Dies hat uns bei einem Vor-Ort-Besuch derart bewegt, dass wir begonnen haben, Rollstühle und Gehhilfen zu finanzieren.
Mobilität ist für die MIVA also ein Thema über weite Entfernungen und im Nahbereich.
Parzer: Sie hat sehr viele Facetten. Unsere Arbeit ist so aufgebaut, dass wir vor Ort nicht einzelne Menschen unterstützen, sondern Organisationen wie Schulen, Krankenhäuser, Ordenseinrichtungen, die für die Verwendung des Transportmittels verantwortlich sind. Jedes der Projekte hat einen ganz konkreten Zweck.
Die Maultiere wird die MIVA vermutlich vor Ort angeschafft haben, aber wie ist das mit Autos und anderen Fahrzeugen?
Parzer: Kleinere Transportmittel beschaffen wir zu 99 Prozent vor Ort. Bei größeren analysieren wir im Sinne eines effizienten Umgangs mit Spendengeld, wo die Anschaffung am günstigsten ist. Wir haben einen eigenen Beschaffungsbetrieb für solche Fragen.
Tansania oder der Kongo sind zum Beispiel Länder, in denen wir Geländefahrzeuge einsetzen. Eines davon dort zu kaufen, kostet rund 70.000 US-Dollar (derzeit ca. 65.000 Euro, Anm.). Die Anschaffung in Europa kostet 30.000 Euro – inklusive Transport ins Einsatzland! Natürlich schwingt bei diesem Transport die Frage des Klimaschutzes mit. Bei diesem Preisunterschied liegt die Entscheidung jedoch auf der Hand.
Kann man in abgelegenen Gebieten den Einsatz eines Verbrennungsmotors vermeiden?
Parzer: Der Klimaschutz ist uns ein großes Anliegen. Aber in die Entscheidung spielt nicht allein die Energieform hinein. Natürlich kann man mit Solarzellen in Afrika Strom für E-Autos erzeugen. Aber es fehlen dort Werkstätten, die diese Autos warten können. Ganz davon zu schweigen, dass die Straßenverhältnisse meist nicht für ein Elektroauto geeignet sind.
Den Klimaschutz leben wir daher einerseits in unseren Einrichtungen hier in Österreich; wir sind zum Beispiel aktive Teilnehmende bei der Initiative „Oberösterreich radelt“ und bemühen uns im Bereich unserer Bildungsarbeit, gute Arbeit in Schulen zu leisten. Andererseits wägen wir bei der Anschaffung von Fahrzeugen sehr genau ab, wie groß und schwer sie im konkreten Fall wirklich sein müssen.
Ihre Projekte sind pastoraler, medizinischer und sozialer Natur. Haben Sie einen Schwerpunkt?
Parzer: Nein, einen Schwerpunkt in diesem Sinne gibt es nicht. Insgesamt betrachtet sind die drei Aufgabenfelder oft verwoben, sodass ein Fahrzeug gleich mehrere Zwecke erfüllt. Wir bemühen uns jedoch, jährlich ein bestimmtes Themenfeld in den Fokus zu rücken. Heuer sind dies Projekte mit dem Schwerpunkt auf Umwelt und Nachhaltigkeit.
Was hat sich in den 75 Jahren seit Gründung der MIVA geändert?
Parzer: Zu Beginn unserer Tätigkeit haben wir fast ausschließlich österreichische Missionarinnen und Missionare bei der Mobilität unterstützt. Heute sind 99 Prozent unserer Projekte in den Partnerländern beheimatet. Die Zahl der Missionare und Missionarinnen aus Österreich ist über die Jahre kleiner geworden.
Sie arbeiten eng mit anderen Hilfsorganisationen zusammen. Hat das mit Ihrer Spezialisierung zu tun?
Parzer: Ja, wir sind sozusagen ein Nischenhilfswerk: Wir bringen die Mobilität und unser diesbezügliches Know-how in die Projekte ein, denn kein einziges Hilfsprojekt funktioniert, ohne mobil zu sein. Unsere Partnerorganisationen in Österreich und darüber hinaus schätzen unser diesbezügliches Fachwissen. Von den rund 1.000 Ersuchen um Fahrzeuge im Jahr können wir derzeit rund ein Drittel finanzieren.
Am 24. Mai feiert die Missions-Verkehrs-Arbeitsgemeinschaft (MIVA) im Christophorus-Haus in Stadl-Paura ihre Gründung vor 75 Jahren. Die MIVA Austria ist ein Hilfswerk der katholischen Kirche. Ihre Aufgabe ist es, für Projekte der Entwicklungszusammenarbeit Transportmittel zur Verfügung zu stellen. In 75 Jahren wurden mehr als 48.000 Transportmittel für den Einsatz in den ärmsten Regionen der Welt finanziert. Aktuell sammelt die MIVA zum Beispiel mit ihrer Fahrradaktion „Pedale für die Umwelt“ zur Beschaffung von Lastenräder in Tansania.
Weitere Infos auf: www.miva.at
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