Durch die Pandemie wurden viele Arbeitsplätze in Österreich unsicher. In manchen Branchen gibt es dennoch zu wenige Arbeitskräfte. Arbeitsminister Martin Kocher kündigte für 2022 eine Reform der Arbeitslosenversicherung an, er möchte das Arbeitslosengeld mit der Dauer der Arbeitslosigkeit sinken lassen. Die Initiative „Arbeitslosengeld rauf!“ setzt sich für ein existenzsicherndes Arbeitslosengeld ein und sammelt Unterschriften für ein Volksbegehren.
Kein Mensch ist gerne arbeitslos. Das weiß ich aus vielen persönlichen Kontakten mit Betroffenen, und alle Studien bestätigen es.
Neben den psychischen Belastungen durch das Herausfallen aus sozialen Beziehungen und den Verlust der gewohnten Tagesstruktur macht vor allem die Frage der Existenzsicherung großen Stress. Das Bild des faulen Arbeitslosen, der ein schönes Leben auf Kosten der Allgemeinheit führt, ist schlichtweg unschöne Propaganda.
Denn das Arbeitslosengeld in Österreich mit einer Nettoersatzrate von 55% ist bei weitem nicht existenzsichernd. Meist sehr abrupt muss man mit etwa der Hälfte des vorherigen Einkommens auskommen.
Vor allem wer in Teilzeit oder im Niedriglohnbereich beschäftigt war, rutscht unausweichlich in die Armutsfalle. Das betrifft aktuell viele Frauen sowie Beschäftigte im Gastgewerbe.
Die coronabedingten Betriebsschließungen lassen nach jeder Welle arbeitslose Menschen zurück.
Bei steigenden Wohn- und Lebenskosten heißt es dann, Erspartes aufzubrauchen, wenn man überhaupt welches hat, oder sich Geld auszuleihen.
Verschuldung ist aber eine schwere Hypothek für die Zukunft, die auch den Kindern zur Last fällt.
Diese durch eine Kindergrundsicherung vor Armut zu schützen, wie in Deutschland geplant, erscheint als sinnvoll und wäre auch in Österreich finanziell machbar.
Eine andere Argumentationslinie führt immer wieder ins Treffen, dass auf Menschen Druck ausgeübt werden müsse, damit sie möglichst schnell wieder eine Erwerbsarbeit aufnehmen. Hier stellt sich die Frage nach der Zumutbarkeit bestimmter Tätigkeiten und Arbeitsorte.
Laut Sora-Institut wissen wir, dass 95% der erwerbsarbeitslosen Menschen aktiv nach einem neuen Job suchen. Von den restlichen 5% ist ein Teil aufgrund einer Erkrankung arbeitslos.
Menschen mit wenig finanziellen und sozialen Ressourcen haben auch schwierigere Bedingungen bezüglich Mobilität, denn für Arbeitszeiten am Tagesrand braucht man ein eigenes Fahrzeug.
Leistbare Unterkunft, inklusive Übersiedlungskosten, ist oft eine nächste Hürde, ebenso die Betreuung von Kindern oder betagten Angehörigen.
Bereits jetzt werden die Sanktionen seitens des AMS strikt gehandhabt. Vielfache Studien belegen, dass mehr Druck keine nachhaltige, existenzsichernde Beschäftigung generiert, er fördert nur den ‚Drehtür-Effekt‘.
Noch mehr Druck bewirkt bei Betroffenen mehr Rückzug aus dem Arbeitsmarkt, gesellschaftliche Ausgrenzung und Beschämung.
Das schwächt nachhaltig und entspricht keinesfalls einem christlichen Menschenbild und einem die Menschenwürde achtenden, solidarisch unterstützenden Sozialstaat.
Eine menschenwürdige Reform der Arbeitslosenversicherung hat einige Aufgaben zu erledigen. Vor allem langzeitarbeitslose Menschen brauchen Unterstützung, individuelle Begleitung und effektive Schulung. Es gilt, in Beschäftigung zu investieren, auch in gemeinwohlorientierte Arbeitsplätze.
Ein armutsfestes Arbeitslosengeld ist ein Gebot der Stunde. Existenzsicherung ist eine Grundvoraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe und Demokratie.
Das gilt es allen Menschen zu ermöglichen. Die Katholische Arbeitnehmer/innenbewegung unterstützt daher die Einleitung eines Volksbegehrens ‚Arbeitslosengeld rauf!‘. «
Anna Wall-Strasser
Bundesvorsitzende der Katholischen Arbeitnehmer/innenbewegung Österreich
Mit der Leistung eines Arbeitslosengeldes soll Menschen in einer überaus belastenden Lebenssituation eine menschenwürdige Existenz gesichert werden.
Denn gerade Arbeitslose können schnell in Armut abrutschen und soziale Ausgrenzung erfahren. Beiträge des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers ermöglichen diese unverzichtbare Versicherungsleistung unseres Sozialsystems.
Österreich liegt mit der Höhe des Arbeitslosengeldes – berücksichtigt man Zuschläge, Steuerfreiheit, Auszahlungsdauer etc. – im guten europäischen Durchschnitt (wer die tatsächlich leicht unterdurchschnittlichen 55 Prozent vom letzten Nettogehalt heranzieht, vergleicht Äpfel mit Birnen).
Erhöht man nun das Arbeitslosengeld, verliert dieses seine temporäre „Überbrückungsfunktion“ und nähert sich rasch einem am Markt erzielbaren Einkommen an. Die Versuchung, „bloß wegen ein paar Euro mehr“ ein gutes Jobangebot sausen zu lassen, ist dann groß und kann dem Betroffenen nicht zum Vorwurf gemacht werden.
Das gilt umso mehr, als man sich in Österreich das Arbeitslosengeld mit einem Nebenjob aufbessern kann, was die Aufnahme einer regulären Beschäftigung noch einmal unattraktiver macht.
So tendiert die Differenz zwischen Arbeitslosengeld und Arbeitseinkommen etwa bei Familien mit Kindern nicht selten gegen null. Spätestens hier fragen sich jene, die täglich um 7.00 Uhr aufstehen und ihren Job machen, ob sich Leistung in diesem Land noch lohnt.
Die sicherlich gutgemeinte Anhebung des Arbeitslosengeldes bewirkt im Endeffekt das Gegenteil: Sie zementiert Arbeitslosigkeit und produziert Langzeitarbeitslose, weil sie den möglichen Wiedereinstieg ins Arbeitsleben unnotwendigerweise verzögert. In Zeiten des akuten Fach- und Arbeitskräftemangels eine vergebene Chance für alle Seiten.
Statt das Arbeitslosengeld zu erhöhen, braucht es vielmehr Anreize, den Status der Arbeitslosigkeit rascher als bisher zu verlassen – eine Staffelung des Arbeitslosengeldes könnte dazu ein Beitrag sein. Schließlich ist die Chance auf eine erfolgreiche Vermittlung in den ersten drei Monaten mit Abstand am größten.
Will man zudem die in Österreich vergleichsweise hohe Langzeitarbeitslosigkeit erfolgreich bekämpfen, muss auch die unbegrenzte Notstandshilfe – im Übrigen ein europäisches Unikum – zur Diskussion gestellt werden: Motiviert diese zum Wiedereinstieg oder steht sie diesem vielmehr entgegen? Eine mehr als berechtigte Frage, zumal eine Anhebung des Arbeitslosengeldes auch automatisch die Notstandshilfe erhöhen würde …
Statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren und durch mehr Arbeitslosengeld künstlich zu verlängern, sollten arbeitslose Menschen bestmöglich dabei unterstützt werden – dem Gleichnis von den „anvertrauten Talenten“ folgend – die eigenen Potenziale auszuschöpfen.
Dazu gehört auch die Bereitschaft, zumindest vorübergehend einen „zweitbesten“ Job anzunehmen. Denn (fast) alles ist besser, als arbeitslos zu sein und auf Dauer zu bleiben. «
Erhard Prugger
leitet die Abteilung Sozial- und Rechtspolitik der Wirtschaftskammer Oberösterreich.
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