Bei den Linzer Friedensgesprächen ist die Klimakrise als Konflikttreiber das zentrale Thema. Welche globalen Konflikte müssen dabei besonders in den Blick genommen werden?
Martin Auer: Wenn wir von Konflikten sprechen, dürfen wir nicht nur Kriege betrachten. Der Grundkonflikt ist immer noch der, wer die Lasten der Klimakatastrophe trägt. Zwei Drittel des jetzt in der Atmosphäre befindlichen Kohlendioxids stammt aus den früh industrialisierten Ländern in Europa und in den USA. Das heißt, der globale Norden schuldet dem globalen Süden Unterstützung bei der Vermeidung von Treibhausgasen, Hilfe bei der Anpassung an den Klimawandel und Entschädigung für Klimaschäden. Problematisch ist dabei, dass ein großer Teil der Finanzhilfen, die an die ärmeren Länder vergeben werden, durch Kredite passiert und nicht in Form von nicht rückzahlbaren Unterstützungen. Damit setzen wir in Wirklichkeit eine koloniale Politik fort, bei der wir die ärmeren Länder in Abhängigkeit bringen.
Welche kriegerischen Auseinandersetzungen stehen zumindest indirekt mit der Klimakrise in Zusammenhang?
Auer: Zum Beispiel der Bürgerkrieg in Syrien. Das Land wurde vor Kriegsausbruch in den Jahren von 2006 bis 2011 von einer nie dagewesenen Dürre heimgesucht, was auch mit dem Klimawandel zusammenhängt. Die Dürre hat die bereits bestehenden sozialen Probleme in Syrien weiter verschärft. Auf diese Lage hat die korrupte Regierung nicht reagiert, was in der Folge zum Bürgerkrieg geführt hat.
Kann die Energiewende nicht nur für das Klima nützlich sein, sondern auch tatsächlich helfen, den Ukrainekrieg früher zu beenden?
Auer: Man sagt das oft so, dass erneuerbare Energien unabhängig machen und Frieden schaffen, weil mit ihnen dezentral im Land Energie produziert werden kann. Was dabei übersehen wird, ist, dass zur Produktion von Strom aus erneuerbaren Energien ganz viele kritische Rohstoffe notwendig sind wie etwa Kupfer, Nickel, Lithium und seltene Erden. Und auch die sind sehr ungleich verteilt in der Erdkruste.
Mehrere führende Politikwissenschafter:innen sagen, dass Russland den Ukrainekrieg wegen dieser „kritischen Rohstoffe“ begonnen hat. Denn im Osten der Ukraine gibt es immerhin Europas größtes Lithiumvorkommen. Lithium wird man in den nächsten Jahrzehnten vor allem für die Herstellung von Elektroautos brauchen. Analyst:innen gehen davon aus, dass sich die Zahl der PKW bis 2050 weltweit verdoppeln wird. Das befeuert globale Konflikte, wobei leider kein Mensch daran denkt, dass es besser wäre, die Zahl der Autos zu reduzieren.
Das würde der bisherigen Funktionsweise der Wirtschaft widersprechen, die auf Wachstum ausgerichtet ist.
Auer: Ja, das ist aber das eigentliche Problem, dass wir eine Wirtschaft haben, bei der immer mehr produziert werden muss. Es ist eine völlig irrationale Wirtschaftsweise, die überhaupt zur Klimakrise geführt hat. Wir brauchen ein alternatives Wirtschaftssystem, das es uns ermöglicht zu sagen: Wir haben jetzt genug. Es geht nicht darum, immer weiter zu wachsen und noch mehr Reichtum anzuhäufen, es geht darum, den Wohlstand gerecht zu verteilen. Der globale Süden muss die Möglichkeit haben, aufzuholen, dem muss man auch noch ein größeres Treibhausgaskontingent zugestehen. Der reiche Norden muss sagen: Wir haben genug.
Wie kann diese Form der Genügsamkeit im Wirtschaftssystem verankert werden?
Auer: Durch Genossenschaften, die sich selbst versorgen bzw. auch durch Gemeinden oder Staaten, die sich im Wesentlichen selbst versorgen. Die könnten sagen: „Okay, jetzt haben wir genug zu essen und genug anzuziehen usw. und kein Mensch kann uns zwingen, mehr zu machen, mehr zu arbeiten. Wenn wir jetzt irgendeine technische Innovation haben, dann nützen wir das, um mehr Freizeit zu haben und nicht um noch mehr zu produzieren“.
Wenn wir jetzt sagen würden, wir haben ein Wirtschaftssystem, das nicht mehr wächst, dann wird es keine Kriege um Ressourcen mehr geben. Statt um Ressourcen zu kämpfen, können wir schauen, wie wir diese besser nutzen können.
Mit Straßenblockaden hat die „Letzte Generation“ in den vergangenen Monaten für Aufregung gesorgt. Haben Sie Verständnis für diese Form der Klimaproteste?
Auer: Grundsätzlich schon, die Proteste und die Verzweiflung sind berechtigt. Aber ich finde, die Proteste sollten lieber unmittelbar dort stattfinden, wo die Treibhausgase entstehen und nicht bei den Autofahrer:innen, also den Konsument:innen. Die Frage ist ja, wie kann man jetzt den Autofahrer, den man gerade aufhält, dadurch überzeugen, sich für den Klimaschutz einzusetzen?
Wo würden Sie die Proteste dann eher ansiedeln? In der Raffinerie?
Auer: Ja, in der Raffinerie oder am Flugplatz, wo die Privatjets landen und starten. Wobei wichtig ist, dass die Proteste immer verbunden sein müssen mit einem positiven Bild, wie ein Leben ohne Treibhausgasemissionen funktionieren kann. Die meisten Leute können sich das gar nicht vorstellen, auch nicht wie ein alternatives Wirtschaftssystem aussehen kann. In Wirklichkeit brauchen wir keinen Arbeitsplatz. Wir brauchen ein Auskommen. Und wenn das Auskommen nicht vom Arbeitsplatz abhängig ist, dann stehen wir ganz anders da. Das heißt, wir müssen auch ein Bild entwerfen von einer genügsamen Gesellschaft, und erklären, wie die aussehen kann. Wo man halt nicht ständig die Produktion ausweiten muss, damit die Arbeitsplätze erhalten bleiben, damit die Menschen überhaupt etwas zum Leben haben. Die Klimaschutzbewegung muss sich noch viel mehr einsetzen für Fragen wie Arbeitszeitverkürzung oder für die Möglichkeit, soziale Arbeit zu leisten, anstatt Erwerbsarbeit.
Haben Sie den Eindruck, dass es bei der Klimakrise auch um einen Generationenkonflikt geht?
Auer: Ich glaube eher, dass das so hingestellt wird als Generationenkonflikt von Menschen, die nicht an einer Lösung der Klimakrise interessiert sind. Klar sind in den früheren Generationen die Grundlagen für die Klimakrise gelegt worden. Aber nicht pauschal von der alten Generation, sondern von denen, die diese Wirtschaft gestaltet haben, wobei nur zum Teil ein bewusster Prozess überhaupt zur Klimakrise geführt hat.
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