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Sie sind bei Ihrer Arbeit über Sophie Scholl auch auf Legenden gestoßen. Welche zum Beispiel?
Robert M. Zoske: Sophie Scholl war nicht der Dreh- und Angelpunkt der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“. Dass sich das in der Bevölkerung so eingeschlichen hat, liegt vor allem an den Filmen, die 1982 und 2005 gedreht wurden. Und sie war nicht beteiligt an der Abfassung der insgesamt sechs Flugblätter, die zum Widerstand gegen die NS-Diktatur aufriefen. Sie wurden zu 65 Prozent von ihrem Bruder Hans Scholl, der Rest von Alexander Schmorell und Kurt Huber verfasst. Ab der zweiten Flugblattphase im Herbst 1942 war Sophie Scholl dann aktiv dabei, war Managerin, hat für Geld gesorgt, für den Vervielfältigungsapparat, für Briefumschläge, für Papier und für Briefmarken. Und sie war maßgeblich an der Verbreitung der Flugblätter beteiligt und hat sie selber mit verteilt. Ein weiterer Mythos ist, dass sie sich besonders für Juden eingesetzt hat, etwa für ihre jüdische Klassenkameradin und angebliche Freundin Luise Nathan. Deren Tochter hat mir deutlich bestätigt, dass ihre Mutter immer bestritt, näheren Kontakt zu dem nazibegeisterten Mädchen gehabt zu haben.
Das heißt, Sie war nicht sofort Widerständige gegen den Nationalsozialismus? Wie würden Sie Sophie Scholl beschreiben?
Zoske: Sie war ein Mensch mit all ihren positiven, aber auch mit ihren schwierigen Eigenschaften. Erst einmal ist sie ein Mädchen ihrer Zeit, das voll auf den Nationalsozialismus abfährt. Sie ist begeistert, dass sie 1934 mit 13 Jahren endlich in die Jungmädelschaft und danach in den Bund Deutscher Mädel der Hitlerjugend eintreten kann, auch wenn die Eltern das gar nicht so gerne sehen. Ihre Geschwister Hans und Inge machen das auch. Und da ist sie mit 150 Prozent dabei und wird von Klassenkameradinnen auch als gefürchtete Anhängerin des NS-Regimes beschrieben. Eine Charaktereigenschaft von ihr ist, eine Sache ganz oder gar nicht zu machen – und sie hängt sich da voll rein. Diese Begeisterung kehrt sie nachher um, als sie allmählich erkennt, dass die Nationalsozialisten nicht ihren Idealen entsprechen. Im November 1942 schreibt sie: „Habe ich geträumt bisher? Manchmal vielleicht. Aber ich glaube, ich bin aufgewacht.“
Was war es, das sie am Bund Deutscher Mädel so faszinierte?
Zoske: Jugend führt Jugend – diesen Grundsatz fand sie toll. Beim Bund Deutscher Mädel durfte sie schon ein halbes Jahr, nachdem sie eingetreten ist, noch Jüngere führen, sie hinausbringen in die freie Natur, wandern, singen, Sport betreiben, Theater spielen. Das Freizeitangebot war vielfältig. Je mehr sie sich allerdings aktiv engagierte, desto schlechter wurden ihre Schulnoten. Das Ziel der Hitlerjugend war ideologische Schulung. Die jungen Menschen sollten getrimmt werden für die Volksgemeinschaft.
Wann kam es in ihr zum Wandel, zu einem Umdenken in Richtung aktiver Widerstand? Das ging ja nicht von heute auf morgen, wie Sie schreiben ...
Zoske: Das ging schrittweise. Es war ein langer Lernprozess. Sie war ja bis 1941 noch über ihr Abitur hinaus weiter beim Bund Deutscher Mädel gewesen. Richtig festmachen kann man ihren Sinneswandel wohl erst im Mai 1942. Dieses Datum wird von ihrem Freund Fritz Hartnagel genannt. Er sagt, da habe Sophie ihn gebeten, ihr 1000 Reichsmark zu leihen „für einen guten Zweck“ und sie bat ihn um einen Bezugsschein für eine Vervielfältigungsmaschine. Das heißt, zu diesem Zeitpunkt hat sie sich mit ihrem Bruder Hans schon so abgesprochen, dass sie etwas gegen die Nationalsozialisten machen und Flugblätter drucken müssen.
Was hat dazu geführt?
Zoske: Um das zu wissen, muss man zurückgehen auf die Zeit vor dem Mai 1942. Da war sie in Blumberg im Schwarzwald und musste ein halbes Jahr als ausgebildete Kindergärtnerin in einem Hort Kriegshilfsdienst leisten. In der kleinen Stadt fand man ein wenig Erz, das die Nationalsozialisten für ihre brutale Wirtschafts- und Rüstungspolitik nutzten. Und so wurde aus diesen Erzschichten alles herausgepresst, was nur möglich war. Dazu hat man auch viele Menschen wie Kriegsgefangene, Straftäter und Verschleppte dorthin gebracht und sie mussten unter Zwang arbeiten. Die Natur wurde rücksichtslos zerstört, die Leute ausgebeutet. Und als man dann feststellte, das Erz bekomme man in der Ukraine wesentlich günstiger gefördert, wurden innerhalb von wenigen Monaten 4000 Leute auf die Straße gesetzt. Genau in der Zeit war Sophie Scholl da. Ich gehe davon aus, dass sie in Blumberg Impulse bekam, die wahrscheinlich dazu geführt haben, dass bei ihr dann die letzte Faszination, welche der Nationalsozialismus noch auf sie ausgeübt hatte, endgültig erloschen ist.
Sie war ja evangelisch und ihre Mutter tief gläubig. Welche Bedeutung hatte der Glaube für Sophie Scholl?
Zoske: Ohne den christlichen Glauben, der sie begleitet hat, wäre sie nicht in den Widerstand gegangen. Von ihrer Mutter, eine evangelische Krankenschwester, hat Sophie wie auch ihre vier Geschwister immer wieder gelernt, trotz Schwierigkeiten am Glauben festzuhalten und Gott zu vertrauen. Da war die Mutter ein Vorbild. Meiner Meinung nach war Sophie Scholl auch eine Märtyrerin in dem Sinne, dass sie mit ihrem Glauben gestorben ist. Der Glaube ist nach meiner Auffassung grundlegend für ihren Widerstand, der für sie moralische Verpflichtung war, zu handeln. Sie folgte ihrem Gewissen. Von da her ist sie eine Zeugin für den christlichen Glauben.
Sophie Scholl hat auch immer wieder mit ihrem Glauben gerungen und war innerlich oft zerrissen ...
Zoske: Ganz stark. Wenn ich diese Mythen in Frage stelle, dann heißt das nicht, dass ich damit ihre Vorbildfunktion schmälern will, sondern sie ist für mich umso glaubwürdiger, je menschlicher sie ist. Es gibt auch diese zwischen Begeisterung und Traurigkeit schwankende Sophie, diese zweifelnde, zickige, gehemmte, widersprüchliche und fragende Sophie, die aber zum Schluss sagt, sie habe jahrelang etwas Verkehrtes gemacht, aber jetzt wisse sie, dass sie etwas gegen den Krieg machen müsse. Sie war in der Lage, umzudenken und einen Sinneswandel zu vollziehen. Für sie war dann klar, dass eine moralische, ethische Erkenntnis zu einer Tat führen muss und sie entschied sich für den öffentlichen widerständigen Freiheitskampf.
Sie war ja unglaublich reif für ihr Alter ...
Zoske: Das muss man immer sehen, dass sie erst 21 Jahre alt war. Und es war eine extreme Zeit, die sehr herausforderte und die dieses Reifwerdenlassen auch befördert hat. In einem der Flugblätter fordert ihr Bruder Hans dazu auf: „Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den ihr um Euer Herz gelegt!“ Und das hat der innerste Kern der Weißen Rose – ihr Bruder Hans, Alexander Schmorell, Christoph Probst, Willi Graf, Kurt Huber und Sophie Scholl – auf alle Fälle gemacht und sich gegen die Verbrechen der Nationalsozialisten gestellt.
Was ist für Sie persönlich das Faszinierende an Sophie Scholl?
Zoske: Dass sie zusammen mit ihrem Bruder Hans versuchte, Glaube und Handeln zusammenzubringen. Dass sie sehr fromm waren, intensiv auch mit Gott gerungen haben und glauben wollten. Und dass sie erkannt haben, wenn etwas falsch ist, dann kann man sich nicht zurückziehen und sagen, ich lasse die Welt einfach laufen, sondern dann muss ich etwas tun. Diese Verbindung zwischen Glaube und Handeln ist für mich das Faszinierende, Überzeugende und Mutmachende, gerade auch für heute. «
- Buchtipp: Robert M. Zoske „Sophie Scholl: Es reut mich nichts. Porträt einer Widerständigen.“, Propyläen Verlag, 2020, Euro 24,70.
Sophie Scholl wurde am 9. Mai 1921 im deutschen Forchtenberg geboren. Ihr Vater Robert Scholl war Verwaltungsfachmann, u. a. Bürgermeister in Forchtenberg und später Wirtschaftsprüfer und Steuerberater. Ihre Mutter Magdalena arbeitete bis zur Eheschließung als evangelische Krankenschwester. Sophie Scholl hatte fünf Geschwister: Inge (*1917), Hans (*1918), Elisabeth (*1920), Werner (*1922) und Thilde (*1925). Die jüngste Schwester wurde nur neun Monate alt, nachdem sie an Masern und einer Lungenentzündung erkrankte. Nach dem Abitur 1940 begann Sophie eine Ausbildung zur Kindergärtnerin am Evangelischen Fröbelseminar in Söflingen, einem Stadtteil Ulms. Danach arbeitete sie in einem Kinderhort in Blumberg, wo sie einen Kriegshilfsdienst ableisten musste. In München begann sie 1942 ein Biologie- und Philosophiestudium und lernte durch ihren Bruder Hans, der Medizin studierte, Studenten kennen, die sich gegen die NS-Herrschaft stellten. Schließlich zählte sie zum inneren Kreis der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ rund um ihren Bruder Hans und wurde wegen ihres Engagements gegen das NS-Regime gemeinsam mit ihrem Bruder und Christoph Probst am 22. Februar 1943 zum Tode verurteilt und hingerichtet. Willi Graf, Kurt Huber und Alexander Schmorell ereilte zwei Monate später dasselbe Schicksal.
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