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Die Diskussion über ein solches Einkommen ist durch die Corona-Krise wieder stärker angeheizt worden. Befürworter fordern, dass jeder Bürger und jede Bürgerin monatlich einen fixen Betrag vom Staat erhalten soll, um gut und in Würde leben zu können – unabhängig davon, ob man einer Arbeit nachgeht oder nicht. Die Meinungen dazu gehen oft auseinander.
Im „pro&contra“ legen Margit Appel und David Mum ihre unterschiedlichen Sichtweisen zum Thema dar.
PRO
Die Rede von der Leistung, die sich lohnen soll, ist fixer Bestandteil politischer Reden. Aus dem so hergestellten Zusammenhang wird ein zentraler Einwand gegen das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) gemacht. Wer etwas leistet, soll davon etwas haben, aber nicht bedingungslos und nicht für jede Art von Leistung.
Schließlich sei da ja auch der Sozialstaat. Allerdings: die Hürden, zustehende Leistungen zu bekommen, dokumentieren Armutskonferenz bzw. SozialrechtsNetz regelmäßig. Dass der Termin beim Arbeitsamt oder beim Sozialamt ein Angsttermin ist, weil Beschämung und Enttäuschung drohen, ist in einer demokratischen Ordnung ein Skandal, wird aber als quasi Nebeneffekt von „Bedürftigkeit“ abgetan.
Soziale Rechte sind ein schöner Gedanke, ein gewisses paternalistisch-autoritäres Sozialstaatsbild ist gängiger. Die Verwaltung von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuergeldern braucht Regeln. Diese müssen aber transparent sein und nicht nur Missbrauch, sondern auch behördliches Autoritätsgehabe hintanhalten.
Der Leistungsbegriff scheint in Geiselhaft genommen von jenen, die mindestens in zweierlei Hinsicht Macht haben: zu definieren, was als Leistung anerkannt wird und durchzusetzen, dass der Zwang zu Erwerbsarbeit nicht aufgegeben wird. Das Hauptbedenken erstaunlich vieler gegen das BGE besteht darin, dass „die Leute“ dann nicht mehr jede Erwerbsarbeit annehmen müssen. Für schlecht bezahlte, mühsame, wenig anerkannte Erwerbstätigkeit gäbe es dann zu wenig Nachfrage.
Das ist ein entlarvender Einwand hinsichtlich unserer Wirtschaftsordnung und unseres Menschenbildes. Die einen sollen müssen, die anderen dürfen befinden, was jene müssen sollen! Eine sozialethisch äußerst fragwürdige Ordnung.
Und es wird noch fragwürdiger. Sorgearbeit für Kinder, Kranke, alte Menschen; die Reproduktion von Arbeitskraft an sich; zivilgesellschaftliches Engagement und politische Arbeit; künstlerisch-kreatives Tätigsein: man hütet sich, all das als Leistung, die sich (materiell) lohnen muss, zu apostrophieren. Eine seltsame Ordnung, in der sich die Leistungen, die unsere Gesellschaft am Leben halten und lebenswert machen, nicht lohnen (dürfen), hingegen sich Leistungen, die vor allem der Erhöhung des Profits / der Renditen anderer dienen, (scheinbar) lohnen müssen.
Die Covid-19-Pandemie hat Nachdenklichkeiten „produziert“. Die Frage nach dem Sinn des eigenen Tuns und unserer gesamten Ordnung ist drängender geworden, drängen der vielleicht als die eingeübte Haltung „(Meine) Leistung lohnt sich.“
Unsere Gesellschaft braucht diesen „von unten“ kommenden Veränderungsdrang angesichts der immer größer werdenden Macht einiger weniger, demokratische Verhältnisse zu hintertreiben. Das Grundeinkommen ist – in den Händen von uns Bürgerinnen und Bürgern und aller Menschen, die in diesem Land leben – ein dringend gebrauchtes Instrument. Wir stimmen für ein BGE und garantieren damit einander einen Teil der materiellen Grundlagen, die wir alle brauchen, um selbstbestimmt Veränderungen, Reformen, Transformation gestalten zu können. «
Margit Appel ist Politikwissenschafterin und engagiert im Netzwerk Grundeinkommen und sozialer Zusammenhalt. Von 1998 bis 2018 war sie Mitarbeiterin der Katholischen Sozialakademie Österreichs (ksoe).
Contra
Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens klingt zunächst überzeugend. Wie könnte das Recht auf Existenzsicherung und Teilhabe einfacher umgesetzt werden als mit einem gleichen Betrag, den jeder Mensch bekommt? Löst das Grundeinkommen ein, was es verspricht? Es gibt gute Gründe für Zweifel.
Als einer der Gründe für ein Grundeinkommen wird angegeben, dass durch die Digitalisierung viel Erwerbsarbeit ersetzt wird. Die Frage, ob es Erwerbsarbeit geben wird, entscheidet jedoch nicht die Technologie über die Menschen, sondern hängt von der Gestaltung und Einbettung ab.
Technischer Fortschritt ist ein Begleiter seit der industriellen Revolution und hat viele Tätigkeiten ersetzt. Trotzdem ist die Erwerbsbeteiligung heute höher als jemals zuvor. Arbeitszeitverkürzungen und Verlagerung der Arbeit stehen uns auch künftig zur Verfügung.
Bezahlte und unbezahlte Arbeit sollen gerechter verteilt werden. Das Grundeinkommen kann das aber nicht garantieren. Bester Ansatz dazu ist eine Arbeitszeitverkürzung, kürzere „Normal“arbeitszeiten für Frauen und Männer und eine Reduktion der Einkommensunterschiede zwischen verschiedenen Tätigkeiten.
Ein Grundeinkommen kann gesellschaftlich Erwerbsarbeit nicht obsolet machen. Es mag individuell für manche möglich sein, sich aus der Erwerbsarbeit zurückzuziehen. Gesamtgesellschaftlich gilt das nicht.
Das Grundeinkommen würde damit die eigene Finanzierungsgrundlage unterminieren. Viele gesellschaftlich notwendige Tätigkeiten, die nicht im Haushalt oder freiwillig geleistet werden, sind nur durch Erwerbsarbeit sicherstellbar. Gesundheitswesen, Feuerwehr, Rettungswesen, die Infrastruktur, Energieversorgung, Verkehr, Handel, (Elementar-)bildung usw. sind für das Funktionieren der Gesellschaft unverzichtbar. Nur durch bezahlte Arbeit kann die kritische Infrastruktur gewährleistet werden. Und nur durch relative Attraktivierung kann erreicht werden, dass genug Menschen in wichtigen Bereichen arbeiten.
Das Grundeinkommen hat Kosten, die es nahezu unmöglich machen, andere wichtige Vorhaben zu finanzieren. Es kostet etwa 100 Mrd. Euro und damit fast so viel wie der gesamte Sozialstaat. Und der Sozialstaat besteht aus viel mehr als Geldleistungen (Kindergärten, medizinische Versorgung, Schulen, …).
Die Summe ist auch fast so hoch wie die gesamte Nettolohnsumme, die den Arbeitnehmer/innen nach Steuern und Abgaben bleibt.
Diese Summe zusätzlich zum bestehenden Sozialstaat zu stemmen ist illusorisch.
Das Grundeinkommen setzt Steuererhöhungen voraus, die es in dieser Höhe noch nie gab. Letztlich würde das Grundeinkommen an viele Menschen bezahlt, die es nicht brauchen und müssten diesen wieder wegbesteuert werden. Und trotz der größten Steuererhöhung, die es je gab, wäre nicht mehr Geld da für eine Aufwertung der Pflege, des Gesundheitssystems und Investitionen zur Verhinderung der Klimakatastrophe. Das sind aber die Bereiche, in denen es künftig weit mehr öffentliche Investitionen braucht. «
David Mum ist Leiter der Grundlagenabteilung der Gewerkschaft der Privatangestellten GPA.
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