Am 25. Oktober 2019 präsentierte die Caritas OÖ im Linzer Ursulinenhof eine Studie, die Caritas-Direktor Franz Kehrer vor drei Jahren in Auftrag gegeben hat. Untersucht wurden die Lebensbedingungen ab 1945 in folgenden Heimen: das ehemalige Erziehungsheim Steyr-Gleink (geschlossen 2009), das ehemalige Schülerheim Windischgarsten (von 1954 bis zur Schließung 1985) sowie die Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen in St. Pius in Peuerbach und St. Isidor in Leonding. Was in der Studie auf 500 Seiten zusammengefasst wurde, zeichnet ein erschütterndes Bild.
„Es war alles verboten, was ein Kind ein bisschen glücklich macht“, sagte ein ehemaliges „Heimkind“ von Steyr-Gleink bei der Veranstaltung, in deren Rahmen Betroffene noch einmal von ihren traumatisierenden Erfahrungen erzählten. Aus dem Heim Steyr-Gleink wurden die mit Abstand meisten Vorfälle an die diözesane Ombudsstelle gemeldet. Das Heim in einem ehemaligen Stift wurde bis 1989 unter Caritas-Verantwortung von Herz-Jesu-Missionaren geführt. Der Orden war nicht bereit, an der Studie mitzuarbeiten. Im Heim wurden männliche Kinder und Jugendliche betreut, die von den Jugendwohlfahrten des Landes OÖ und anderer Bundesländer zugewiesen wurden und die oft schon in ihren Herkunftsfamilien Gewalt erfahren mussten. Vor allem in den 1950er-Jahren waren Kinderrechte unbekannt und körperliche Strafen üblich. Doch in Steyr-Gleink ging man über das „Übliche“ hinaus. Die Kinder bekamen zu wenig zu essen, wurden geschlagen, mussten Kollektivstrafen erleiden und im Freien Strafe stehen, bis es sogar zu Erfrierungen kam. Drei weltliche und geistliche Erzieher, die strafrechtlich verurteilt wurden, missbrauchten Kinder vielfach auch sexuell. Die Kinder wurden mit militärischer Härte „erzogen“. Sie waren in einem geschlossenen Kreislauf aus Schule und Heim in einem Gebäude und unter ständiger Aufsicht gefangen. Der neue Leiter ab 1976 untersagte Gewalt. Trotzdem wurde von den Erzieher/innen, die zum Teil keine oder eine unzureichende Ausbildung hatten, weiterhin physische und psychische Gewalt – wenn auch weniger systematisch – ausgeübt. Bis zur Schließung 2009 wurde Vieles verbessert, doch das Gesamtsystem konnte, auch aufgrund des Widerstands vieler Beschäftigter, nicht aufgebrochen werden. Die Gewalt war bekannt. Hilferufe von Kindern und Jugendlichen, aber auch von Heimleiter/innen und Mitarbeiter/innen wurden nicht gehört. Die Caritas OÖ bzw. die Diözese Linz und das Land OÖ haben nicht bzw. zu wenig eingegriffen.
Er sei froh, dass er durch die Wissenschafter/innen der Studie endlich eine Stimme bekommen habe, sagte ein Betroffener. Zu lange waren er und viele andere der Lüge bezichtigt worden. „Ich bin sehr betroffen, auch beschämt und bitte als Repräsentant der Kirche um Vergebung“, sagte Bischof Manfred Scheuer. Direktor Franz Kehrer bat die Leidtragenden im Namen der Caritas um Entschuldigung und sieht eine Auftrag für die Zukunft: „Wir dürfen beim Thema Gewaltschutz niemals stehenbleiben. Wir alle müssen sehr genau hinschauen, um Warnsignale möglichst früh zu erkennen.“ «
Die Studie „Verantwortung und Aufarbeitung. Untersuchungen über Gründe und Bedingungen von Gewalt und Missbrauch in den Heimen der Caritas OÖ nach 1945“ wurde von den Wissenschafter/innen Michael John, Marion Wisinger und Angela Wegscheider durchgeführt. Dafür wurden mehr als 120 ehemalige „Heimkinder“ und Bewohner/innen sowie Erzieher/innen und Verantwortliche interviewt und zahlreiche Akten durchforstet.
Die Studie ist online verfügbar unter: www.caritas-linz.at
Foto: Im ehemaligen Erziehungsheim Steyr-Gleink soll eine Gedenktafel angebracht werden. Sie wurde am 25. Oktober im Ursulinenhof präsentiert. (v. li.) a. Univ. Prof. Dr. Michael John, Bischof Dr. Manfred Scheuer, Dr. Angela Wegscheider, Dr. Marion Wiesinger und Caritas OÖ-Direktor Franz Kehrer, MAS (mit der Studie).
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