Erzählen und zuhören, dazwischen einen Schluck Kaffee trinken und noch dazu etwas Neues lernen. So könnte man das Erzählcafé des KBW-Treffpunkt Bildung kurz zusammenfassen. Das Format feiert heuer sein 10-jähriges Jubiläum.
Eine, die von Anfang an dabei war, ist Birgit Aigner aus Oftering. Sie hat als Gesprächsleiterin bereits 40 Erzählcafés mit 536 Teilnehmer:innen durchgeführt. „Es wird jedes Mal ein bestimmtes Thema vorgegeben, zu dem ich zusätzlich interessante Fakten biete.“
Zu den Themen gehören etwa „Kleiderschürze und Sonntagsgewand“, „Äpfel, Nüsse, Weihrauch“ oder auch „Er hat ein knallrotes Gummiboot“ (wo es um Ohrwürmer geht). Viele Teilnehmer:innen dieses Erzählcafés sind Senior:innen und freuen sich darüber, ihre – zu Hause vielleicht schon 100-fach erzählten – Erlebnisse und Erfahrungen in einer neuen Runde teilen zu dürfen. Dadurch fühlten sie sich „wichtig, wertvoll und geschätzt“, sagt Birgit Aigner.
Auch wenn es Erzählcafé heißt, muss nicht jede:r zwangsläufig etwas sagen, „man darf auch einfach nur zuhören. Ich kenne eine Dame, die beteiligt sich ganz wenig, aber sie freut sich in Gesellschaft zu sein und kommt regelmäßig, anstatt zu Hause ihren Kaffee allein zu trinken.“
Da beim Erzählcafé viel über die eigene Biografie gesprochen wird, kommen dabei oft auch starke Gefühle hoch. Es sei schon vorgekommen, dass jemand weint, aber auch Konflikte können zutage treten: „Einmal haben zwei sehr heftig gestritten darüber, wie viele Zweige in einen Palmbuschen gehören. Schließlich kam heraus, dass die beiden Damen aus verschiedenen Regionen stammten.“
Im Gespräch erfahre man viel über den anderen Menschen und verstehe vielleicht, warum jemand so ist, wie er ist, sagt Aigner. Nicht nur für die Teilnehmer:innen, auch für sie als Gesprächsleiterin ist das Erzählcafé jedes Mal bereichernd: „Man bekommt sehr viel zurück. An den Geschichten der Leute teilhaben zu dürfen, ist ein großes Geschenk.“
Ein Erzählcafé, das Menschen auf die Bühne bringt, die sonst weniger im Rampenlicht stehen, ist jenes des Empowerment-Centers (EMC) in Linz. Es bietet unter anderem Peer-Beratung für Menschen mit Beeinträchtigung und gehört zum „Kompetenzwerk Informationstechnologie zur Förderung der Integration von Menschen mit Behinderungen“ (KI-I).
Ebenjene erzählten aus ihrem Leben, von den vielen Herausforderungen, die sie zu meistern hätten und was sie schon alles geschafft hätten, sagt EMC-Bereichsleiter Wolfgang Glaser: „Es kann stärkend sein, die Geschichten von anderen Menschen mit Beeinträchtigungen zu hören. Etwa welche Erfahrungen sie in Einrichtungen gemacht haben, die Schwierigkeiten, eine Arbeit zu finden oder mit welchen Vorurteilen sie schon konfrontiert waren.“
Das Erzählcafé bietet dafür einen geschützten Rahmen, auch für Themen, die sonst weniger in der Öffentlichkeit angesprochen werden, wie die Sexualität von Menschen mit Beeinträchtigungen.
Barbara Pamminger ist eine jener Menschen, die ihre Geschichte im Erzählcafé mit anderen geteilt haben. „Ich bin normalerweise die, die den Geschichten zuhört. Selbst zu erzählen, war etwas ganz Spannendes.“ Pamminger arbeitet als Peer-Beraterin bei Assita Soziale Dienste und sitzt im Rollstuhl. Es sei nicht das erste Mal gewesen, dass sie ihre Geschichte erzählt habe, aber eines der familiärsten Male: „In diesem sicheren Umfeld wird dir das Gefühl gegeben, du wirst wertgeschätzt. Ich würde es auf jeden Fall wieder machen.“
„Man kann sich durch den Austausch gegenseitig unterstützen und stärken. Wirkliche zwischenmenschliche Begegnung ist durch nichts ersetzbar“, ist Wolfgang Glaser überzeugt.
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