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Es war gegen Mitternacht, als Jean De Dieu Bukuru durch Schläge aus dem Schlaf gerissen wurde. Nachdem der 16-Jährige die Augen öffnete, sah er vor sich einen Mann mit einer Kalaschnikow in der Hand. Dem Jugendlichen war sofort klar, dass die Situation ernst ist. Eine Gruppe von 15 bewaffneten Männern hatte den Schlafsaal des Buben-Internats im burundischen Dorf Ciya gestürmt, in dem der junge Afrikaner gemeinsam mit seinen Mitschülern, darunter auch sein Zwillingsbruder, während seiner Schulzeit untergebracht war.
Es herrschte großer Tumult und Angst unter den 50 Schülern, alle zwischen 12 und 16 Jahre alt. Die Rebellen befahlen ihnen unter Gebrüll, persönliche Sachen in ihre Rucksäcke zu packen und ihnen zu folgen. Vor dem Internatsgebäude mussten sich die Burschen in einer Reihe hintereinander aufstellen, bevor es auf unwegsamen Pfaden quer durch den dichten Urwald Burundis ging. Immer wieder haben die Rebellen gedroht, wenn einer es auch nur wagt die Reihe zu verlassen und zu flüchten, wird er sofort getötet.
Nach einem Sechs-Stunden-Marsch wurden die Schüler an eine andere Rebellengruppe übergeben. Diese Männer haben die Buben äußerst brutal empfangen – sie wurden geprügelt, angeschrien, eingeschüchtert und aufs Schlimmste beleidigt und beschimpft. Im Basislager angekommen, mussten sich die Schüler vor den Rebellen aufstellen, die Rucksäcke ausräumen, sich nackt aus- und verschmutzte Kleidungsstücke anziehen. Alles andere wurde ihnen weggenommen.
Die Entführung ereignete sich im Jahr 1994 während des burundischen Bürgerkriegs (1993–2005) zwischen Hutus und Tutsis, Rebellen und Regierung. Der damals 16-jährige Jean De Dieu Bukuru ist nun 40 Jahre alt und katholischer Priester. „Es begann eine schreckliche Zeit, die drei Monate dauerte“, erinnert sich der Burunder und erzählt seine Geschichte weiter. „Anfangs wurden wir jeden Tag verprügelt, um uns gefügig zu machen.“ Ein Teil seiner Mitschüler wurde zu Soldaten ausgebildet, andere wurden gezwungen, für die Rebellen zu arbeiten. Jean De Dieu Bukuru gehörte der zweiten Gruppe an. „Wir mussten für sie kochen, Brennholz suchen, Lasten und Proviant von einem Lager zum anderen schleppen.“ Dazwischen wurden sie misshandelt.
Obwohl die Rebellen „ständig damit drohten uns zu töten, sollten wir versuchen zu fliehen, so hatte doch jeder von uns nur Fluchtgedanken im Kopf“, sagt der Priester. Einige seiner Mitschüler trauten sich dann auch wegzulaufen, schafften es aber nicht. „Sie sind vor unseren Augen zu Tode geprügelt worden. Das zu sehen war für mich und meine Schulkameraden der schlimmste Vorfall meines Lebens. Wir waren wie Brüder, wir haben zusammen im Internat gelebt, die Schulbank gedrückt, gelernt, die Freizeit miteinander verbracht, das Essen geteilt. Sie so sterben zu sehen, hat mich schwer traumatisiert.“
Jean De Dieu Bukuru dachte immer daran, aus dieser Hölle auszubrechen. „Ich hatte mein ganzes Leben noch vor mir und wollte frei sein. Unter diesen ausbeuterischen, brutalen Bedingungen wie ein Sklave mein Dasein zu fristen, war für mich wie langsam und qualvoll zu sterben. Also konzentrierte ich mich jeden Tag darauf, ob sich eine Gelegenheit zur Flucht bot, obwohl es gefährlich war.“ Dann eines Tages wurde ein paar Mitschülern und ihm aufgetragen, einige Sachen an die Grenze zur Demokratischen Republik Kongo zu transportieren. Auf dem Weg zurück ins Basislager bekamen die Rebellen Hunger und so mussten die Jugendlichen unter Aufsicht in einem Dorf Essen besorgen. „Plötzlich ergab sich für mich die Chance, dem Martyrium zu entkommen. Ich huschte hinter ein Haus nahe am Waldrand und dann begann ich zu laufen, so schnell ich konnte.“
Auf dem Weg zurück nach Hause stand auf einmal sein Zwillingsbruder vor ihm, dem mit zwei anderen Burschen ebenfalls die Flucht gelang. Die Freude war ungemein groß. Nach vier Tagen erreichten sie schließlich ihr Heimatdorf Mabayi und sie konnten ihre Eltern und ihre ältere Schwester in die Arme schließen. „Meine Familie betete jeden Tag, dass wir noch am Leben sind; und am Tag des Wiedersehens dankten wir dann alle gemeinsam Gott, dass es so gekommen ist. Wir erzählten immer wieder, was geschehen war. Das war der erste Prozess, dieses Erlebnis zu verarbeiten“, erzählt der Priester. Aber auch danach habe er diese Geschichte mit verschiedenen psychologisch geschulten Menschen aufgearbeitet. Vor allem eine Nonne in Ghana unterstützte ihn dabei sehr. „Darüber zu reden hat mir geholfen, dieses Trauma Stück für Stück zu heilen.“
Später haben die beiden Brüder erfahren, dass den meisten ihrer Mitschüler ebenfalls die Flucht geglückt ist. Auch diejenigen, die während dieser Zeit plötzlich nicht mehr im Lager waren und ihnen gesagt wurde, sie seien wegen Fluchtversuchs getötet worden, hatten es ebenfalls geschafft zu entkommen.
Mittlerweile ist Jean De Dieu Bukurus Zwillingsbruder Arzt in Australien und er selbst katholischer Priester der „Missionare Afrikas“. Er studierte Philosophie, Theologie, Friedensforschung und internationale Beziehungen und absolvierte psychologische Kurse. Während seiner Ausbildungs- und Missionarszeit führten ihn seine Wege von Burundi nach Ghana, Mosambique, Jerusalem, Sambia und Kenia, wo er Radoslaw Malinowski (siehe Interview in der Randspalte) kennenlernte, den Gründer der Organisation HAART („Awarenes Against Human Trafficking“), die sich gegen Menschenhandel einsetzt. Als ehemaligen Betroffenen war es für Jean De Dieu Bukuru klar, sich bei HAART zu engagieren. Als Mitglied der Organisation, einem Projektpartner der Dreikönigsaktion, betreut er die Leidtragenden sowohl spirituell als auch psychologisch, damit sie ihr Trauma überwinden. «
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