„Das Leben geht weiter, nur die Zeit ist stehengeblieben“, sagt Anastasia Prelovskaya. Die 39-jährige Mutter einer Tochter kam Mitte Mai 2022 aus der Ukraine in die Pfarre Wippenham. Die Familie stammt aus der Stadt Nikolaev im Süden der Ukraine, Anastasias Mann befindet sich immer noch dort.
Die Kommunikation erfolgt per Telefon: „Wir können nicht als Familie zusammen sein, das trifft vor allem meine Tochter hart. Sie war es gewohnt, ihren Vater jeden Tag zu sehen, ihn zu umarmen und auf seine stoppeligen Wangen zu küssen“, sagt Prelovskaya.
Derzeit leben sie und ihre Tochter im Pfarrhof von Wippenham. Ein Team aus zehn Personen, die meisten davon PGR-Mitglieder, haben im März 2022 beschlossen, den bis dahin unbewohnten Pfarrhof als Wohnung für ukrainische Flüchtlinge zu adaptieren. „Wir haben das relativ rasch hinbekommen“, erzählt Anton Planitzer, Lehrer an der HTL Braunau am Übergang zum Ruhestand und PGR-Mitglied.
„Im Mai vergangenen Jahres sind dann drei Ukrainerinnen, zwei davon mit jeweils einer Tochter, eingezogen.“ Mittlerweile ist eine der Mütter mit ihrer Tochter wieder in die Ukraine zurückgekehrt – das Heimweh war zu groß.
Das Pfarrteam steht den Vertriebenen als Ansprechpartner zur Seite und hilft bei allem Möglichen: „Wir haben uns darum gekümmert, dass die Mädchen in die Schule gehen können, damit die Anmeldung zur Grundversorgung klappt oder um rechtliche Belange und Arztbesuche. Relativ rasch haben wir auch Arbeitsmöglichkeiten für die Frauen schaffen können“, sagt Planitzer.
Anastasia Prelovskaya war in ihrer Heimat in der Schönheitsbranche tätig, seit Mitte Juni arbeitet sie im Gasthof Loryhof in Wippenham als Hilfsköchin. „Als wir in Wippenham ankamen, fing ich sofort an, nach Arbeit zu fragen. Schließlich muss ich meine Tochter ernähren.“ Sie sei sofort im Team akzeptiert worden und sehr dankbar, dort arbeiten zu dürfen.
„Es ist gut, dass man den Geflüchteten keine Hindernisse in den Weg legt und sie in Beschäftigung gehen können“, findet Anton Planitzer. Durch die Berufstätigkeit steige das Selbstwertgefühl der Menschen, ihnen werde zwar auch geholfen, aber so können sie auch selbst etwas tun, „und das erleben sie als positiv“.
Der sogenannten „Bemühungspflicht“ steht Planitzer allerdings skeptisch gegenüber. Knapp formuliert bedeutet das: Geflüchtete müssen sich bemühen, eine Arbeit zu finden, andernfalls werden ihnen die Sozialleistungen gekürzt. „Es ist teilweise unverständlich, wie die Regierung agiert. Man sollte eher positive Anreize schaffen, anstatt ein Bestrafungs- und Kürzungsregime zu führen.“
Umgekehrt dauere es zum Teil sehr lange, bis Sozialleistungen bei den Geflüchteten – nicht nur bei den Ukrainer:innen, sondern generell – ankommen. Ein Beispiel: „Ende Juli wurde beschlossen, dass sie Familienbeihilfe bekommen, und das auch rückwirkend. Wir haben sofort darum angesucht, bekommen haben sie es Anfang Dezember.“
„Diese Bemühungspflicht im Rahmen der Grundversorgung ist nicht neu, auch in der Vergangenheit mussten Grundversorgungs-Bezieher:innen, die vollen Zugang zum Arbeitsmarkt haben, dieses aktive Bemühen um einen Arbeitsplatz oder eine aktive Ausbildung nachweisen, um weiter Leistungen zu beziehen“, sagt Lisa Steinkogler, Leiterin der Flüchtlingshilfe der Caritas OÖ.
Die Caritas begrüße diese Vorgehensweise, da ein aktives Berufsleben ein wichtiger Schritt in Richtung Integration sei. „Das richtige Augenmaß ist hier wichtig: Menschen, die dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen, weil etwa Betreuungspflichten für Kleinkinder bestehen, körperliche Einschränkungen vorhanden sind oder bereits das Pensionsantrittsalter erreicht ist, sind von dieser Bemühungspflicht ausgenommen.“
Anastasia Prelovskaya fühlt sich insgesamt sehr wohl in Wippenham und schätzt die Hilfe, die sie und ihre Tochter dort bekommen: „Wippenham ist eine unglaublich schöne und einladende Gemeinde mit wunderbaren und freundlichen Menschen. Jeden Tag danke ich Gott dafür, dass er uns durch diese Menschen hilft. Sie sind immer für uns da.“
So werden sie immer wieder zu Festen und Veranstaltungen eingeladen; die Tochter von Anastasia ging zur Weihnachtszeit zum Beispiel mit ihren Klassenkamerad:innen von Tür zu Tür und sang Weihnachtslieder.
Trotz all dem Guten, das sie hier erfährt, ist der Krieg in der Ukraine natürlich immer präsent. Am Anfang des Kriegs wurde in Nikolaev, Anastasia Prelovskayas Heimatstadt, die Hauptwasserversorgung gesprengt. Es sei zwar versucht worden, die Leitungen wieder zu reparieren, doch das Wasser sei immer noch in sehr schlechtem Zustand.
„Mein Ehemann sammelt deshalb wie alle Einwohner:innen von Nikolaev mehrmals täglich gereinigtes Wasser, das von Freiwilligen aus nahe gelegenen Städten in Tanks gebracht wird“, erzählt Anastasia Prelovskaya.
Etwas, das sie durch diese schwierige Zeit trägt, ist ihr Glaube. „Es ist das erste Mal, das so etwas in meinem Leben passiert. Der Krieg hat uns alle erdrückt, die Ukrainer:innen sind über die ganze Welt verstreut und leben nicht in ihren Häusern. Aber der Glaube an die Zukunft und Gebete stützen mich. Und auch mein Kind, dem ich ein Vorbild sein soll. Ich weiß, Gott gibt einem Menschen immer nur so viele Prüfungen, wie er ertragen kann.“
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