Kilometerlang zieht sich die unbefestigte Straße den Berg hinauf, von einer Kehre zur nächsten. Dann lichtet sich der Wald. Weiß gestrichene Häuser leuchten im Sonnenschein. Der Blick auf die Berge ist atemberaubend. Doch für die Menschen, die hier leben müssen, sind sie wie Gefängnismauern.
Auf dem Bürglkopf im Tiroler Fieberbrunn betreibt das Innenministerium eine sogenannte Rückkehrberatungseinrichtung. Die zweite in Österreich befindet sich in Schwechat. Hier werden Asylwerbende untergebracht, die das Land verlassen müssen. Zurzeit leben auf dem Bürglkopf über 30 Personen, großteils junge Männer, wenige Frauen und zwei kleine Kinder. Viele von ihnen sprechen gut Deutsch. Bei manchen ist die Rückkehr ins Heimatland nicht sicher, andere hoffen darauf, dass sie doch in Österreich bleiben dürfen. Sie wissen nicht, wie lange sie hier noch warten müssen. Zwischen den Resten der Schneemassen, die immer noch ums Haus liegen. Zwischen Bergspitzen, Wiesen und Wäldern, in denen Schilder mit Schlangenwarnung hängen. Zwei Stunden Gehzeit vom Fieberbrunner Zentrum entfernt, wo es die Möglichkeit gäbe, mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen. Viele gehen trotzdem, denn es fährt nur einmal am Tag ein Bus ins Tal und wieder zurück, und der hat nur acht Plätze. Das Warten und Abgeschnittensein vom gesellschaftlichen Leben lässt die Menschen verzweifeln.
„Wir werden unmenschlich behandelt, obwohl wir nichts verbrochen haben“, sagt Amad Yousef*. Seit zwei Monaten ist er mit seiner Frau und den beiden Kindern auf dem Berg. Jahrelang hat die staatenlose jesidische Familie in Wartberg an der Krems gelebt. Amad Yousef hat pflegebedürftigen Menschen geholfen, Rasen gemäht und als Schülerlotse gearbeitet. Seine Tochter war in der Volksschule die Beste in Deutsch. Auch in Fieberbrunn geht sie in die Schule. Jetzt sitzt sie vor dem Haus neben ihrem Vater – für ihren Schulbus gab es keinen Fahrer. Mit ernstem Blick hört sie Amad und den anderen Männern zu. Sie erzählen von Streit und Gewalt, die zunimmt, je aussichtsloser die Lage wird. Vom Hungerstreik, den sie am 3. Juni begonnen haben, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. „Wir wollen nur ein normales Leben führen“, sagen die Männer. Ein 16-jähriger Ukrainer lebt mit seiner Mutter seit einem Jahr hier. Er würde gerne zur Schule gehen und sieht die Tage unnütz verstreichen. Ein Iraker wartet seit acht Monaten. Zwei Tschetschenen wären gerne zu einem Fest nach Wien gefahren und durften nicht. Ein Afghane bräuchte psychologische Behandlung und bekommt stattdessen Tabletten, die ihn nicht schlafen lassen. Mittendrin sitzt der kleine Sohn der Familie Yousef. Vormittags kann er den Kindergarten im Tal besuchen. Sonst hat er nichts, was seinen fünf Jahren entspricht. Keine Kinder zum Spielen, keinen Spielplatz, keinen Wasserspaß in der Hitze. „Stattdessen lernt er Schimpfwörter, mit denen sich die Leute hier anschreien“, sagt sein Vater. „Das ist kein Platz für Kinder.“
Die Familie hat mehrere negative Aslybescheide bekommen und auch kein Recht mehr auf ein sogenanntes humanitäres Bleiberecht. Sie soll nach Armenien abgeschoben werden. Amad und Kawin Yousef haben eine lange Fluchtgeschichte hinter sich. Armenien gehört nicht dazu. In ein Asylheim, eine private Unterkunft oder in ein anderes EU-Land dürfen sie nicht. Kawin Yousef weiß nicht mehr weiter. „Wir haben alles getan, um uns in Österreich zu integrieren“, sagt sie. Ihr einziger Lichtblick sind die vielen Nachrichten auf ihrem Mobiltelefon, die sie täglich aus Wartberg an der Krems bekommt. Von Gisela Moser zum Beispiel. Sie ist eine von zahlreichen Menschen aus der Pfarre und der Gemeinde Wartberg, die die Familie seit Jahren begleitet. Sie hat Amad und Kawin erlebt, wie sie voll Hoffnung an eine Zukunft in Österreich geglaubt, wie viel sie dafür gelernt und gearbeitet haben. Einmal in der Woche fährt eine Gruppe aus Wartberg nach Fieberbrunn. Die Familie soll wissen: Sie ist nicht allein. Die Unterstützer/innen hoffen noch immer, dass es einen guten, menschenwürdigen Weg für sie gibt.
Vor dem Haus auf dem Bürglkopf ist es ruhiger geworden. Die meisten Bewohner/innen haben sich zurückgezogen, in den Wald, in den Speisesaal oder in die Zimmer, in denen jeweils vier Betten stehen. Amad und Kawin Yousef sagen, die Richter sollten noch einmal ihren Akt öffnen. Sie sagen, dass sie und alle anderen dringend den Berg verlassen und in eine bessere Unterkunft ziehen müssen. Zum Abschied winken zwei große und zwei kleine Hände.
*Namen von der Redaktion geändert.
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