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Sie schreiben gerade ein Buch zum Grundeinkommen. Warum ist Ihnen das so wichtig?
Barbara Prainsack: Bereits vor der Corona-Krise habe ich mir überlegt, was es bedeutet, wenn man Solidarität in unserer Gesellschaft ernst nimmt in einer Zeit, wo viele trotz Vollbeschäftigung von ihrer Erwerbsarbeit nicht mehr leben können. Nicht vordergründig weil ihnen die Roboter die Jobs stehlen, sondern weil durch die Lohn- und die Vermögensentwicklung die sozialen Scheren immer weiter auseinandergehen. Die Löhne stagnieren oder sinken, während die Kosten steigen. Das ist ein Versagen der Politik nicht nur in Österreich in den letzten Jahrzehnten gewesen.
Welche Argumente sprechen Ihrer Meinung nach für ein Grundeinkommen?
Prainsack: Generell ist Vollbeschäftigung ein Ideal, das immer utopischer wird aufgrund des demografischen Wandels, aufgrund der Globalisierung, aufgrund der Automatisierung und der Digitalisierung. Dazu kommt – das haben wir jetzt auch während der Corona-Phase gesehen – dass man relativ schnell und unvorhergesehen das Erwerbseinkommen verlieren kann oder es reduziert wird. Viele der Maßnahmenpakete in dieser Krise für die vielen betroffenen Menschen bräuchte es nicht, wenn wir ein Grundeinkommen hätten, das die Menschen absichert. Ein weiterer Punkt betrifft ein ethisches Argument. Viele Leute sagen, in reichen Staaten gibt es keinen Grund, dass wir Menschen in Armut leben lassen, es gibt keinen Grund, dass wir sie nicht absichern, so dass ihre Grundbedürfnisse befriedigt sind und ihnen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben möglich ist. Der Wert des Menschen könnte dadurch gewürdigt und Stigma vermieden werden.
Und wenn diese Argumente nicht überzeugen?
Prainsack: Dann kann man das auch volkswirtschaftlich argumentieren. Während der Corona-Krise hat sich gezeigt, Armut korreliert ganz stark mit schlechterem Gesundheitsstatus, mit schlechteren Möglichkeiten, sich selbst zu schützen, mit weniger Möglichkeiten, sich auch einmal sozial zu isolieren, wenn das sein muss. Volkswirtschaftlich gesehen kostet uns Armut.
Es gibt viele Modelle eines Grundeinkommens. Welches wünschen Sie sich?
Prainsack: Ich wünsche mir keine Grundeinkommensdebatte, die nur in Geldzahlungen denkt und alles andere hinten anstellt. Eine wesentliche Vorfrage für das Grundeinkommen ist meiner Meinung nach, was ersetzt es und was würden sich die Menschen davon kaufen. Es wäre keine gute Idee, wenn man sagt, wir schaffen alle Sozialleistungen ab, stampfen alle öffentlichen Infrastrukturen ein, es wird alles privatisiert und die Leute müssen sich dann vom Grundeinkommen am freien Markt öffentlichen Verkehr, Krankenversorgung, Kinderbetreuung, Bildung usw. teuer kaufen. Aber wenn wir diese Grunddienstleistungen, die wir in Österreich ja haben und die viele unserer Bedürfnisse schon abdecken, weiter ausbauen und diese leistbarer werden, dann ist ein Grundeinkommen in Österreich eine Idee, die man diskutieren sollte.
Wie wäre das finanzierbar?
Prainsack: Es gibt ein komplexes Gewirr an Modellen, und Kalkulationen hängen davon ab, was man im Detail annimmt, was wegfällt und was bleibt. Wie viel an staatlichem Geld gebraucht werden würde, um es auszuzahlen, hängt auch davon ab, wie es mit Sozialversicherungsbeiträgen und Arbeitslosenversicherungen weitergeht. Ich bin für ein Grundeinkommen, das automatisch und unbürokratisch an alle ausbezahlt wird und das sich der Staat von denen, die es sich leisten können, über Beiträge wie Vermögenssteuern, wieder zurückholt; und dass man es denen, die es brauchen, lässt und sie so vor Armut bewahrt. Das schafft soziale Gerechtigkeit. Das heißt, eine Grundeinkommenseinführung müsste einhergehen nicht nur mit einer Steuer-, sondern auch mit einer Institutionenreform. Man müsste das System umstellen. Ich denke, deswegen gibt es so wenig politischen Appetit, es einzuführen. Das ist aber kein Grund, das nicht anzudenken.
Skeptiker kritisieren, wenn es ein bedingungsloses Grundeinkommen gibt, dann geht niemand mehr arbeiten. Was sagen Sie diesen Leuten?
Prainsack: Das ist ein Punkt, den man ganz einfach verwerfen kann. Die meisten Menschen arbeiten, auch wenn sie keiner Erwerbsarbeit nachgehen – nicht nur zu Hause, sondern auch in der Betreuung von Verwandten, die nicht im eigenen Haushalt leben. Sie verrichten unbezahlte, unsichtbare Tätigkeiten, die auch Arbeit sind. Unsere Gesellschaft leidet darunter, dass sie Arbeit mit bezahlter Erwerbsarbeit gleichsetzt, was es ja nicht ist. Es gibt weltweit kein Grundeinkommensexperiment, das zeigt, dass die gearbeitete Zeit drastisch zurückgeht. Natürlich gibt es jene, die das System ausnutzen, aber das spielt sich in einem sehr geringen Bereich ab. Wir müssen uns überlegen, ob wir eine bessere Lösung nur deswegen nicht wollen. Die meisten Leute sind bestrebt, ein nützliches Mitglied der Gesellschaft zu sein. Wenn man nicht krank ist, wird man wohl arbeiten.
Wie hoch, denken Sie, sind die Chancen, dass ein Grundeinkommen tatsächlich umgesetzt wird?
Prainsack: Ich glaube nicht, dass wir in den nächsten zwei Jahren den politischen Willen dazu haben. Doch aufgrund der vorher genannten Entwicklungen wird es künftig immer mehr Menschen geben, die langfristig am Arbeitsmarkt, so wie er jetzt gestaltet ist, keinen Job bekommen, weil sie nicht die richtigen Fähigkeiten haben, die der Arbeitsmarkt belohnt. Wir können diese Leute aber nicht durch den Rost fallen lassen und Umschulungen allein sind in meinen Augen keine Lösung. Es wird eine Form des Einkommens losgelöst von der Erwerbsarbeit geben müssen. Das wird früher oder später kommen, davon bin ich überzeugt.
Buchtipp: Barbara Prainsack: Vom Wert des Menschen. Brandstätter Verlag, 192 Seiten, 20 Euro, Erscheinungstermin: 5. Oktober 2020.
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