Wie wichtig ist der Vertrag zum Verbot von Atomwaffen?
Thomas Roithner: Er hat eine enorme Bedeutung, weil er ein bindendes völkerrechtliches Instrument ist, das Atomwaffen verbietet. Fragen im Hinblick auf Nuklearwaffen haben ja eine lange Geschichte. Wenn wir zurückschauen, unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in der ersten Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10. Jänner 1946 bereits die Entfernung von Atomwaffen aus den nationalen Beständen verlangt. Im Laufe der Zeit gab es eine Reihe von Fortschritten vor allem im Hinblick auf Verbote anderer Waffengattungen wie etwa Antipersonenminen. Und jetzt haben wir einen Atomwaffen-Verbotsvertrag, der meiner Meinung nach ein historischer Meilenstein ist und ein wesentlicher Etappensieg auf dem Weg zu einer atomwaffenfreien Welt.
Was ist in diesem Verbot alles enthalten?
Roithner: Der Vertrag verbietet de facto fast alles – Atomwaffen zu entwickeln, sie zu produzieren, sie zu erwerben, sie zu besitzen, sie zu stationieren, sie aufzustellen, sie zu lagern und sie zu testen.
Die neun Atommächte – USA, Russland, Großbritannien, Frankreich, China, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea – haben diesem Abkommen leider nicht zugestimmt ...
Roithner: Ja, aber mit diesem völkerrechtlichen Vertrag haben wir nun ein wichtiges Instrument, mit dem stets auf das Verbot von Atomwaffen hingewiesen und entsprechend Druck ausgeübt werden kann. Es eröffnen sich dadurch weitere Handlungsperspektiven und Debatten, die den Blickwinkel auf eine Welt ohne Atomwaffen schärfen. Banken sind jetzt schon zunehmend weniger gewillt, die Finanzierung für derartige Waffen bereitzustellen. Man will nicht ins Gerede kommen, Atomwaffen in irgendeiner Form zu unterstützen.
Papst Franziskus fordert immer wieder eine vollkommene Abschaffung der Atomwaffen. Stattdessen sollten die eingesparten Rüstungsausgaben gegen den Hunger in der Welt und für die Förderung der Entwicklung in den ärmsten Ländern eingesetzt werden. Sehen Sie das auch so?
Roithner: In diesem Anliegen ist er voll und ganz zu unterstützen, da spricht er mir aus dem Herzen. Und dieser Atomwaffen-Verbotsvertrag geht genau in diese Richtung. Er ist stark auf den humanitären, menschlichen Charakter ausgerichtet, auf den Schutz der Menschenrechte und der Umwelt. Es steht nicht die Sicherheit von Staaten, sondern die Sicherheit von Menschen im Vordergrund und wie man sie gewährleisten kann. Wichtig – und das sehen wir jetzt auch in Zeiten von Corona – sind Gesundheit, Ernährung, Verteilungsgerechtigkeit und eine intakte Umwelt. Enthalten sind in dem Vertrag auch Klauseln über die Hilfe und Entschädigung für Opfer der Atombombenabwürfe 1945 in Hiroshima und Nagasaki und was man tun kann in Bezug auf die Atomwaffentests, die stattgefunden haben. Das ist schon ein Quantensprung, den der Vertrag da vorlegt.
Denken Sie, dass es in den USA unter dem neuen Präsidenten Joe Biden zu einem Kurswechsel hinsichtlich Atomwaffen kommt?
Roithner: Er wird natürlich, wenn es den Vertrag ab dem 22. Jänner gibt, immer wieder damit konfrontiert werden. Mit Joe Biden wird es meiner Meinung nach sicher einfacher, über die Rolle von Atomwaffen ins Gespräch zu kommen, als mit Trump. Aber ich glaube nicht, dass er in seiner Amtszeit auch nur annähernd daran denken wird, US-amerikanische Atomwaffen abzuschaffen.
Das sind Prozesse, die einen langen Atem brauchen ...
Roithner: Ja. Das sehen wir auch bei anderen Waffengattungen, für die es Verbotsverträge gibt – für Biowaffen seit 1974, für Chemiewaffen seit 1997, für Antipersonenminen seit 1999, für Streumunition seit 2010; und nun 2021 für Atomwaffen. Dabei ist für mich auch der zivilgesellschaftliche Diskussionsprozess, den wir über diese Waffen seit Jahrzehnten haben, ganz wichtig. Er geht meiner Meinung nach Hand in Hand mit den hochrangigen internationalen diplomatischen Gesprächen, der Zusammenarbeit von Staaten und von Wissenschaftlern über Abrüstung und Rüstungskontrolle.
Das heißt, der Einsatz der Zivilgesellschaft ist in dieser Frage nicht zu unterschätzen ...
Roithner: Genau. Menschen überall auf der Welt ächten diese Waffen, sie engagieren sich für deren Abschaffung, sie tragen ihre Anliegen weiter, gehen dafür auf die Straße und schreiben Leserbriefe. Das hat auch dazu geführt, dass die Internationale Kampagne zur atomaren Abrüstung, ICAN, 2017 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Und davor ging der Preis auch schon 1917 und 1944 an das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und 1985 an die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges. Das ist sozusagen ein Stück weit auch eine Auszeichnung der Zivilgesellschaft. Einiges kam und kommt weiter in Gang, aber wir haben noch dicke Bretter zu bohren, das ist ganz klar.
Österreich spielte dabei ja eine besondere Rolle ...
Roithner: Ja, Österreich war nicht nur einer der ersten Staaten, die den Vertrag ratifizierten, sondern war als Mitinitiator wesentlich am Vertragsprozess, an den Verhandlungen und an der Erstellung des Vertragstextes 2017 beteiligt. Die österreichische Diplomatie hat dazu beigetragen, dass auch die humanitäre Initiative im Rahmen der Vereinten Nationen diskutiert worden ist. Argumentiert wurde, wenn es tatsächlich zum Einsatz einer Atomwaffe komme – sei es absichtlich, durch ein Versehen oder durch einen technischen Defekt –, hat niemand die medizinischen, die sozialen, die wirtschaftlichen, die humanitären und die ökologischen Folgen unter Kontrolle. Und aus diesem Grund war die Konsequenz – Atomwaffen abschaffen. Auch jetzt ist Österreich aktiv und hat sich bereit erklärt, die erste Konferenz nach dem Inkrafttreten des Vertrages in Wien auszurichten. Das ist ein großer Erfolg für die Kooperation von Staaten im Hinblick auf die Lösung dieses grenzüberschreitenden Problems insgesamt, aber auch für die österreichische Diplomatie. «
Bild: Thomas Roithner ist Friedensforscher und Privatdozent für Politikwissenschaft an der Universität Wien. Zu seinen Arbeits- und Forschungsschwerpunkten zählt u. a. die atomare Rüstungspolitik. Der gebürtige Linzer ist außerdem Mitarbeiter beim österreichischen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes. privat
Zur Sache
In Großbritannien forderten die katholischen Bischöfe die Regierung in London auf, das Atomwaffenarsenal des Landes aufzugeben. Großbritannien solle den am 22. Jänner in Kraft tretenden UN-Atomwaffenverbotsvertrag (TPNW) unterstützen. Die Mittel für Herstellung, Instandhaltung und Aufrüstung der Massenvernichtungswaffen sollten stattdessen investiert werden, „um zum Wohle aller Völker das Leid der ärmsten und verletzlichsten Mitglieder unserer Gesellschaft zu lindern“, heißt es in einer aktuellen gemeinsamen Erklärung der Bischöfe im Vereinigten Königreich. Die Bischöfe zitieren darin aus einer Botschaft von Papst Franziskus an die Vereinten Nationen, in der er 2017 die vollständige Abschaffung von Atomwaffen als „moralische und humanitäre Pflicht“ bezeichnete. Zudem fordern die Bischöfe Großbritannien auf, seine Rüstungskontrollbestimmungen zu verschärfen, um auch gegen die Herstellung und den Verkauf anderer Waffen vorzugehen, „die weiterhin so viele Leben auf der ganzen Welt zerstören“.
Mit dem Inkrafttreten des TPNW-Abkommens gehe die Chance einher, „sich wieder auf eine echte Friedenskonsolidierung zu konzentrieren, die auf Dialog, Gerechtigkeit, Achtung der Menschenwürde und der Sorge um unseren Planeten beruht“, sagen die Bischöfe
Der Vatikan setzt sich auf völkerrechtlicher Ebene immer wieder für eine weltweite Ächtung von Atomwaffen ein und war 2017 unter den ersten drei Staaten, die den Atomwaffenverbotsvertrag ratifizierten. Im selben Jahr bezeichnete Papst Franziskus auf einem Vatikan-Symposium nukleare Abschreckung als ethisch nicht mehr vertretbar.
Beim Atomwaffen-Verbotsvertrag handelt es sich um eine internationale Vereinbarung, welche die Entwicklung, die Produktion, den Test, den Erwerb, die Lagerung, den Transport, die Stationierung und den Einsatz von Kernwaffen verbietet und zudem die Drohung damit. Die UN-Generalversammlung nahm im Dezember 2016 eine Resolution mit einem Verhandlungsmandat für einen solchen Vertrag an. Im Sommer 2017 legte sie den Vertrag zur Unterschrift vor. Bis zum 12. Jänner 2021 hatten 86 Staaten unterzeichnet und 51 den Vertrag ratifiziert, darunter der Vatikan und Österreich. Somit kann er am 22. Jänner rechtlich in Kraft treten. Voraussetzung dafür war die Ratifizierung von mindestens 50 Vertragsparteien. Nicht an den Verhandlungen teilgenommen haben die neun Atommächte (siehe Interview) und die NATO-Staaten mit Ausnahme der Niederlande. Sie lehnen den Vertrag ab.
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