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Fünf Frauen wurden heuer von Männern, die erwiesenermaßen mit ihnen in Beziehung standen, getötet. Einer der Täter ist ein afghanischer Asylwerber. Das hat die Diskussion um die Kriminalität von Asylwerbern – vor allem Männer stehen hier im Zentrum – angeheizt. Innenminister Herbert Kickl ging mit einem umstrittenen Vorschlag an die Öffentlichkeit, um das Kriminalitätsproblem aus seiner Sicht zu lösen: Wenn Asylwerbende eine Straftat begehen, sollen sie abgeschoben werden, auch wenn die Tatverdächtigen noch nicht rechtskräftig verurteilt sind. Doch die Zahlen zeigen: Die Sache ist vielschichtiger, als sie von Politik, Boulevardmedien und in digitalen sozialen Netzwerken dargestellt wird.
„Es ist wichtig, auf das Kriminalitätsproblem zu schauen und die Zahlen zu nennen, wie sie sind“, sagt Christian Grafl vom Institut für Strafrecht und Kriminalität an der Universität Wien. „Aber man muss die Zahlen auch genau anschauen.“ Er präsentierte das Ergebnis seiner Untersuchungen im Rahmen einer Tagung zum Thema „Migrantenkriminalität“ am 23. Jänner an der Linzer Johannes-Kepler-Universität, mit Referentinnen und Referenten aus Österreich, Deutschland und der Schweiz.
Im Jahr 2008 hatten von 100 tatverdächtigten Männern und Frauen in Österreich 27 keine österreichische Staatsbürgerschaft. Im Jahr 2017 waren es bereits 39 von 100. Insgesamt gab es im Jahr 2017 rund 270.600 ermittelte Tatverdächtige, davon waren rund 105.800 sogenannte „fremde“ Personen und rund 164.800 Österreicherinnen und Österreicher. Nach Bevölkerungsgruppen gemessen, sind die meisten ausländischen Tatverdächtigen Personen rumänischer Herkunft, an zweiter Stelle kommen deutsche Staatsbürger/innen, dann Personen aus Serbien, Afghanistan, der Türkei und Bosnien-Herzegowina. In der öffentlichen Wahrnehmung wird Migrantenkriminalität zurzeit mit Mord und Totschlag gleichgesetzt. Das liegt auch daran, dass Medien verstärkt über diese Verbrechen berichten. Dabei wurden ausländische Tatverdächtige vor allem wegen gewerbsmäßigem Diebstahl, Einbruchsdiebstahls und Geldwäsche angezeigt. Auffällig ist, dass bei Einbruchsdiebstahl, Taschendiebstahl und Kreditkartenbetrug der meiste Zuwachs zwischen 2008 und 2017 zu verzeichnen ist. Fahrlässige Körperverletzung im Straßenverkehr sind die häufigsten Vergehen von Personen aus Deutschland. Tatverdächtige Personen aus Afghanistan wurden am häufigsten wegen Körperverletzung angezeigt.
Statistiken können nur jene Straftaten widerspiegeln, die auch angezeigt werden. Dass die Zahl an ausländischen Tatverdächtigen steigt, habe auch mit einem veränderten Anzeigeverhalten zu tun, sagt Christian Grafl: „Ist mir jemand fremd, zeige ich ihn eher an als den Nachbarn.“ Trotzdem sind die Anzeigen langfristig ungefähr gleich geblieben. Im Jahr 2017 war die niedrigste Anzeigenzahl der letzten zehn Jahre zu verzeichnen und im ersten Halbjahr 2018 gab es wiederum weniger Anzeigen als im ersten Halbjahr 2017.
Eng verbunden mit der sogenannten Migrantenkriminalität ist die Furcht vor ihr. Auch sie spielt aktuell eine Rolle, wenn es darum geht, Asylgesetze zukünftig besonders streng auszulegen. Der Linzer Kriminologe Helmut Hirtenlehner hat festgestellt, dass hinter der Furcht vor Migrantenkriminalität hauptsächlich die eigenen Ängste stehen: Angst vor Migrantinnen und Migranten generell, vor der Zukunft und vor sozialem Abstieg. Die Furcht vor Kriminalität habe aber auch mit der näheren Wohnumgebung zu tun, so Helmut Hirtenlehner. Das Gefühl der Unsicherheit steigt, wenn Müll nicht weggeräumt oder Beschädigtes nicht repariert wird oder wenn neue Nachbarinnen und Nachbarn sich nicht an die herkömmlichen Regeln des Zusammenlebens halten. Auch bettelnde Menschen, Obdachlose oder Gruppen junger, „fremder“ Männer im öffentlichen Raum können verunsichern.
Die Hintergründe von Straftaten und die Hintergründe der Furcht vor Straftaten sind erforscht. Welche Maßnahmen sind also nötig, damit Straftaten nicht begangen werden? Wie kann die Furcht davor eingedämmt werden? Eine „Law and Order“-Politik, also eine Politik der strengen Strafjustiz, sei untauglich, um Existenzängste abzubauen, sagt Helmut Hirtenlehner. Die Lösung liegt in der Sozialpolitik. In starken Wohlfahrtsstaaten ist die Furcht vor Kriminalität niedriger, unabhängig von der tatsächlichen Kriminalität. Außerdem müssen Probleme im Wohnumfeld, die zu einem Gefühl der Unsicherheit beitragen, gelöst werden. Um Straftaten vorzubeugen, braucht es auch weiterhin die Zusammenarbeit von Polizei und Beratungsstellen, braucht es Maßnahmen zur Suchtprävention und Therapieangebote. Straftaten besonders von Asylwerbenden können aber nur dann vorgebeugt werden, wenn diese in die Gesellschaft einbezogen werden. „Wir müssen den Asylwerbern Perspektiven und die Möglichkeit geben, sich zu beschäftigen“, sagt Strafrechtsexperte Christian Grafl.
Die Kriminalitätsrate in Oberösterreich war im Jahr 2018 die niedrigste der vergangenen zehn Jahre. Das stellte der oberösterreichische Landespolizeidirektor Andreas Pilsl in der Podiumsdiskussion am Ende der Tagung fest: „Trotzdem ist das Gefühl der Unsicherheit in der Bevölkerung gestiegen.“ Diese Furcht wirke sich auf das Wahlverhalten aus, so der Kriminalsoziologe Dirk Baier aus Zürich: „Sie führt dazu, dass sehr konservative und rechte Parteien gewählt werden, und dann gibt es keinen politischen Willen, um die Mittel für Integrationsmaßnahmen zur Verfügung zu stellen.“«
Zur Sache
Bei der Diskussion um Migrantenkriminalität würde oft der Blick auf die Opfer verloren gehen, meint Strafrechtsexperte Christian Grafl. Die Anzahl der Opfer ohne österreichische Staatsbürgerschaft hat zwischen 2008 und 2017 erheblich zugenommen. Fast die Hälfte aller Opfer, die 2017 jeweils von fortgesetzter Gewaltausübung oder von absichtlich schwerer Körperverletzung betroffen waren oder getötet wurden, waren sogenannte „Fremde“.
Laut polizeilicher Kriminalstatistik wurde der Großteil der Körperverletzungsdelikte von Personen ohne österreichischer Staatsbürgerschaft an anderen „Fremden“ verübt.
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