Ob beim Abbau von Eisenerz in den Minen Brasiliens, bei der Ernte von Kakao und Kaffee auf Plantagen in Westafrika, Brasilien oder Guatemala, bei der Produktion von Bekleidung in Fabriken in Bangladesch oder Pakistan oder bei der Gewinnung von Palmöl in Indonesien oder Malaysia – immer wieder werden entlang von weltweiten Lieferketten in allen Branchen Menschenrechte und Umweltstandards nicht eingehalten. „Um das zu ändern, braucht es verbindliche Regeln für Unternehmen“, sagt Bettina Rosenberger, Geschäftsführerin vom „Netzwerk Soziale Verantwortung“ und Koordinatorin der Kampagne „Menschenrechte brauchen Gesetze! Damit Lieferketten nicht verletzen!“. Getragen wird die Kampagne von der „Treaty Alliance Österreich“, einem Zusammenschluss von kirchlichen Organisationen wie der Dreikönigsaktion, NGOs, der Arbeiterkammer und dem Österreichischen Gewerkschaftsbund. Das Bündnis setzt sich schon seit Jahren für dieses Anliegen ein.
Zur Kampagne läuft derzeit eine Unterschriftenaktion, die noch bis 12. Juni, dem internationalen Tag gegen Kinderarbeit, unterzeichnet werden kann. Konkret gefordert wird ein rechtlich bindendes Lieferkettengesetz in Österreich. Dazu soll die österreichische Regierung einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorlegen. Zudem wird dazu aufgerufen, dass sich Österreich aktiv für verbindliche Regeln zur Unternehmensverantwortung auf EU-Ebene und für das UN-Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten einsetzt. Ende März wurde in Österreich ein Entschließungsantrag zur Einführung eines Lieferkettengesetzes im Nationalrat eingebracht. Beim Prozess auf EU-Ebene hat EU-Justizkommissar Didier Reynders vor einem Jahr einen Entwurf zum Lieferkettengesetz angekündigt, der für Juni erwartet wird.
Wichtige Kriterien, die ein solches Gesetz beinhalten müsse, sind laut Rosenberger u. a. menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten, damit Verletzungen und Umweltschäden möglichst erst gar nicht passieren. Darüber hinaus braucht es eine zivilrechtliche Haftung, damit Betroffene bei Verstößen Zugang zu Rechtsmitteln erhalten und entschädigt werden. „Das ist die große Problematik und wird den Menschen, die betroffen sind, bisher massiv erschwert“, beklagt Rosenberger. „Es reicht nicht, dass ein Unternehmen bei Verstößen ein Bußgeld zahlt. Im Mittelpunkt der Debatte müssen diejenigen stehen, die unter Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden, die verursacht wurden, leiden.“
Seit vielen Jahren gibt es die Debatte darüber, dass etwa auf westafrikanischen Kakaoplantagen Kinder für die Schokolade in unseren Supermarktregalen arbeiten müssen. „Und hier reden wir von ausbeuterischer Kinderarbeit. Auf diesen Plantagen schuften rund 1,5 Millionen Kinder. Bestehende Standards und freiwillige Selbstverpflichtungen, die es für Unternehmen gibt, reichen offensichtlich nicht, um dem ein Ende zu setzen“, sagt Rosenberger. „Wenn man eine Tafel Schokolade kauft, kann man nach wie vor nicht ausschließen, dass Kinderarbeit drinnensteckt. Und wenn wir über Smartphones reden oder über andere Elektronikprodukte – das Metall Kobalt, das in diesen Geräten enthalten ist, stammt oft aus der Demokratischen Republik Kongo, wo leider auch Kinderarbeit ein großes Thema ist.“
Herbert Wasserbauer von der Dreikönigsaktion, dem Hilfswerk der Katholischen Jungschar, ist derselben Ansicht. „Als Entwicklungsorganisation sehen wir in der Projektarbeit mit unseren Partnern in den Ländern des globalen Südens die negativen Auswirkungen, die Aktivitäten von Unternehmen haben können. Oft beginnen dort die Lieferketten, die bei uns in Österreich enden.“ Auch er greift das Beispiel von Kinderarbeit auf Kakaoplantagen auf. „Es gab zwar in Ghana freiwillige Initiativen, wo sich Unternehmen in der Kakaobranche zusammengeschlossen haben, weil sie die Missstände angehen und die Lage verbessern wollten. Doch Ziele wurden immer wieder zurückgeschraubt, bis man ganz aufgegeben hat. Freiwilligkeit reichte nicht aus.“
Hinter dem Problem von Kinderarbeit stecke vor allem Armut, meint Herbert Wasserbauer. Ansetzen müsse man deshalb besonders bei den Familieneinkommen, um die Lebensumstände der Menschen zu verbessern. „Letztlich ist auch das eine Verantwortung im Bereich Lieferketten – es müssen Löhne bezahlt werden, die ein menschenwürdiges Leben für Familien ermöglichen.“ Diese Auffassung vertritt auch Bettina Rosenberger. „Ein ganz wichtiges Kriterium ist, dass Eltern endlich ein existenzsicherndes Einkommen erhalten. Häufig sind ihre Einkünfte deshalb so gering, weil sie nicht nach Arbeitszeit bezahlt werden, sondern danach, wie viele Kilos sie von einer bestimmten Frucht geerntet oder wie viele Kanister Pestizide sie im Akkord versprüht haben. Das führt auch auf Kaffeeplantagen in Brasilien und Guatemala oder auf Palmölplantagen in Indonesien oder Malaysia dazu, dass die gesamte Familie inklusive der Kinder bei der Arbeit mithilft.“ Palmöl ist in rund 50 Prozent aller Produkte, die es in unseren heimischen Supermärkten zu kaufen gibt, enthalten – in Nutella, in Keksen, auch in Kosmetikprodukten.
Eisen ist mit mehr als 90 Prozent das weltweit meist genutzte Metall. Wir finden es in den Häusern und Wohnungen, in denen wir wohnen, in vielen Teilen der Fahrzeuge, mit denen wir fahren, oder in Brücken und Eisenbahnschienen. Beim Abbau von Eisenerz kommt es oft zu Verstößen gegen das Arbeitsrecht. Durch den Bruch eines Rückhaltebeckens einer Eisenerzmine im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais hat eine giftige Schlammlawine Dörfer, Häuser und Äcker zerstört, Menschen und Tiere unter sich begraben und den Boden vergiftet. Viele der Dorfbewohner haben dadurch alles verloren. Die Landwirtschaft, die an den Flussufern stattfand, ist nicht mehr möglich. Betroffene werden von der Dreikönigsaktion begleitet, damit sie zu ihrem Recht und zu Entschädigungen kommen und sie wieder eine Lebensgrundlage haben. „Durch die Gesetzeslage ist es so, dass z. B. Minderjährige, die ihre Eltern bei dem Unglück verloren haben, finanzielle Ansprüche und Entschädigungen erst geltend machen können, wenn sie volljährig sind. Durch die Rechtslage ist ihnen der Zugang zum Rechtssystem verwehrt. Deshalb braucht es unbedingt konkrete Verbesserungen und globale Standards“, sagt Herbert Wasserbauer.
Ungerechtigkeiten und Verbrechen von Unternehmen hat auch Papst Franziskus schon mehrfach angeprangert, etwa in seinem nachsynodalen Schreiben „Querida Amazonia“. Darüber hinaus kommen auch von anderen kirchlichen Seiten klare Statements für Menschenrechte und für die verbindliche Regulierung von Konzernen. So gibt es einen Aufruf, welcher von der internationalen Allianz katholischer Entwicklungsorganisationen CIDSE unterstützt wird. Darin fordern mehr als 230 Bischöfe aus unterschiedlichen Ländern Regierungen weltweit auf, Sorgfaltspflichten und verbindliche Regeln für globale Lieferketten einzuführen und gegen die Missachtung der Menschenrechte durch Unternehmen vorzugehen. Unterzeichnet wurde das Schreiben u. a. von Kardinal Christoph Schönborn, dem Innsbrucker Bischof Hermann Glettler und dem Eisenstädter Bischof Ägidius Zsifkovics.
Was kann nun jeder Einzelne dazu beitragen, damit Arbeits- und Menschenrechte in Unternehmen eingehalten werden? Möglichst bewusst einkaufen ist grundsätzlich wichtig. Hilfreich sei dabei, sich am Fair-Trade-Siegel zu orientieren, sagt Bettina Rosenberger. Generell sei die Wirkung von einzelnen Konsumentscheidungen aber leider sehr begrenzt, meint sie. „Unser Zugang ist, es sollte die Verantwortung nicht auf die Konsumenten abgewälzt werden, sondern es braucht klare Entscheidungen auf politischer Ebene, die von der Regierung getroffen werden müssen, damit in den Supermarktregalen keine Produkte mehr aus Kinderarbeit oder Menschenrechtsverletzungen liegen.“ Ein rechtlich bindendes Lieferkettengesetz ist deshalb dringend notwendig. «
- Die Petition zur Kampagne „Menschenrechte brauchen Gesetze! Damit Lieferketten nicht verletzen!“ kann bis 12. Juni unterschrieben werden unter: www.menschenrechtebrauchengesetze.at
Bild 1: Appell gegen Menschenrechtsverletzungen vor dem Wiener Justizministerium: Die Kampagne „Menschenrechte brauchen Gesetze! Damit Lieferketten nicht verletzen!“ wird u. a. von NGOs, dem Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) und der Arbeiterkammer (AK) getragen und fordert ein Lieferkettengesetz in Österreich und in der EU.
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