Die Armut, mit der die Caritas durch ihre Klientel tagtäglich zu tun hat, hat eine neue Dimension erreicht. "Zu uns kommen jetzt Menschen, die bisher ihr Leben grundsätzlich gut meistern konnten", berichtete Franz Kehrer, Direktor der Caritas der Diözese Linz, am Donnerstag in den "Oberösterreichischen Nachrichten" (OÖN). "Wir sind in den vergangenen zwanzig, dreißig Jahren noch nie in einer vergleichbaren Situation gewesen", verwies Kehrer auf die zuletzt enormen Belastungen durch Teuerung, höhere Mieten, steigende Energiekosten. Durch die Teuerung gerate rund ein Viertel der Bevölkerung unter Druck.
Die Einrichtungen der Caritas seien für diese Entwicklung ein sensibler Seismograf: "In unsere Wärmestube in Linz kommen nicht mehr nur die klassischen Obdachlosen, sondern immer öfter auch Bezieher von Mindestpensionen, die sich einmal in der Woche ein Essen um 50 Cent holen. Die Zielgruppe hat sich eindeutig verändert", teilte der Caritas-Direktor mit. 2022 seien rund 700 Menschen in der Wärmestube betreut worden, heuer um 25 Prozent mehr. Auch die Zahl der Sozialberatungen - im Vorjahr waren es 13.300 - steige um rund 20 Prozent deutlich an.
Wie Caritas-Präsident Michael Landau tags zuvor machte Kehrer auf die schwierige Lage besonders der Mindestpensions-Beziehenden aufmerksam. Dass sich zum Beispiel die Mieten inflationsbedingt im Schnitt um 1.300 Euro pro Jahr erhöhen, sei für eine Mindestpensionistin mit 940 Euro monatlich eine Herausforderung. Die Bundesregierung habe sich zwar bemüht, die Teuerung zu mildern, aber bei vielen Maßnahmen "zu breit mit der Gießkanne angesetzt". In anderen Ländern sei man beispielsweise beim Thema Mieten mutiger gewesen, dort habe man die automatischen Mieterhöhungen ausgesetzt, wies Kehrer hin.
Beeindruckt zeigte sich der Caritas-Direktor von der ungebrochen hohen Solidarität der Menschen. Das Spendenaufkommen der Caritas OÖ für Notleidende im eigenen Land sei trotz zusätzlicher Herausforderungen wie Ukraine-Hilfe nicht gesunken.
Caritas-Präsident Michael Landau hat unterdessen an die Bundesregierung appelliert, die Mindestpensionen substanziell zu erhöhen. "Ich halte es für eine Schande und ein Ärgernis, dass sich Mindestpensionistinnen, die ihr ganzes Leben lang hart gearbeitet haben, jetzt im Alter um Lebensmittelhilfe bei der Caritas und anderen Hilfsorganisationen anstellen müssen", so Landau in einer Stellungnahme gegenüber der Nachrichtenagentur Kathpress (Mittwoch). Die Erhöhung der Mindestpensionen "sind wir den Menschen schuldig, die oft kein leichtes Leben hatten und viel für Österreich getan haben", betonte Landau: "Wir dürfen uns mit der Not nicht abfinden, die es auch bei uns nach wie vor gibt."
Es gehe bei der Erhöhung der Mindestpensionen nicht um eine "Rekorderhöhung", wie einzelne behaupten, "sondern um die Antwort auf eine Rekordinflation, die manche Menschen nicht mehr aus eigener Kraft bewältigen können". Viele Mindestpensionistinnen und Mindestpensionisten könnten schlicht nicht mehr sparen, weil sie nichts mehr hätten. Hier gehe es um Menschen, "die ohnehin schon gewohnt sind, jeden Cent dreimal umzudrehen, bevor sie ihn ausgeben.", so der Caritas-Präsident: "Diese Menschen haben kein Loch mehr im Gürtel, um ihn enger zu schnallen."
Die Caritas sehe in ihren Sozialberatungsstellen in ganz Österreich, dass sich viele Menschen für ihre Not schämen und lange zögern würden, bevor sie zur Caritas oder zu anderen Hilfsorganisationen kommen. Dazu meinte Landau: "Gut, dass diese Hilfe möglich ist und viele Menschen in Österreich sie möglich machen. Aber sollte das Ziel nicht ein armutsfester Sozialstaat sein, wo Menschen im Alter in Würde leben können und alle Kinder faire Chancen erhalten?"
Wie der Caritas-Präsident weiter sagte, anerkenne er die Bemühungen der Bundesregierung, in der Krise, besonders am Anfang, rasch zu helfen. "Da ist auch etliches gelungen, und das möchte ich nicht kleinreden. Aber Einmalzahlungen reichen nicht. Da geht es nicht um Hilfe mit der Gießkanne, sondern um eine treffsichere Unterstützung."
Angesichts mancher Zahlenspiele frage er sich, ob die politisch Verantwortlichen noch nahe genug an der Wirklichkeit der Menschen sind. Niemand komme aus Vergnügen in eine Lebensmittelausgabestelle oder einen Sozialmarkt. Die Menschen kommen, weil es sich sonst einfach mit den Kosten um Lebensmittel, Wohnen, Energie für sie nicht mehr ausgeht", schloss Landau.
Am Montag wurde der voraussichtliche Richtwert zur Anpassung der Pensionen bekannt, der auf der durchschnittlichen Steigerung des Verbraucherpreisindex fußt. Geht es nach den Teuerungsraten der vergangenen zwölf Monate, dürften die Pensionen 2024 deutlich um 9,7 Prozent steigen. Die Zahlen lösten eine neue politische Debatte aus. Seniorinnenvertreter:innen und drängten auf rasche Verhandlungen mit der Regierung und zusätzliche Zahlungen bzw. Abgeltungen, die SPÖ forderte eine vorgezogene Pensionserhöhung. Positive Signale kamen von Sozialminister Johannes Rauch (Grüne). Die NEOS hingegen warnten vor "Pensionsgeschenken".
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