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„Kriminalität ist eine Folge der Umstände. Wenn sich die Umstände ändern, ändern sich die Menschen.“ Stefan Pichler weiß, wovon er spricht. Er begleitet junge Menschen, nachdem sie straffällig geworden sind. Dadurch kam er in Kontakt mit dem katholischen Jugendzentrum STUWE, in dem manche von ihnen ein zweites Zuhause gefunden haben.
Am Herd steht ein Topf, in dem Spaghettiwasser kocht. Samira, Leonie und Violetta (Namen geändert) machen sich in der STUWE-Küche ein Nachmittagessen.
Die Religionspädagogin Silvia Rockenschaub, Mitarbeiterin des Jugendzentrums im Herzen von Linz, gesellt sich dazu und kommt mit den Jugendlichen ins Gespräch. Es dauert nicht lange, bis Leonie ihr Herz ausschüttet.
Schon vor einiger Zeit hat sie erzählt, dass ihre jüngere Schwester und sie vom Vater geprügelt werden. Seit gestern wohnen sie deshalb in einer Jugendnotschlafstelle. Als es am Abend zu einem Konflikt kam, verlor Leonie die Nerven und verprügelte selbst eine Mitbewohnerin.
Dass Jugendliche mit Gewalterfahrung ins STUWE (sprich: Stuweh) kommen, wurde erst „nach Corona“ üblich. Die drei Jugendleiter:innen, der Zivildiener und die Praktikantin des Jugendzentrums sind dankbar für das Vertrauen, das sie erfahren.
„Das STUWE ist mein zweites Zuhause!“, erklärt der 17-jährige Alper. Der kommunikative Bursch mit Schirmmütze ist auf Bewährung frei und besucht einen „JU-CAN“-Kurs der Diözese, der ihn auf die Arbeitswelt vorbereiten soll.
Bereits mit zwölf Jahren hat er falsche Freunde gefunden, erinnert er sich. Er beging zunächst Diebstähle und handelte später mit Drogen. „Zum Glück habe ich selbst keine genommen“, sagt er, „sonst wäre ich da nicht herausgekommen.“ Früher, so erzählt er, habe er immer ein Messer im Schuh getragen. Das braucht er jetzt nicht mehr. Hin und wieder merkt man ihm an, dass er gelernt hat, Dinge mit Faustschlägen zu regeln.
Für Jugendliche wie ihn wurde im STUWE die „Aktion Freundlich“ ins Leben gerufen. Ein handgeschriebenes Plakat gleich beim Eingang erklärt das Prinzip: „Wer freundlich ist, darf bleiben. Wer nicht freundlich ist, muss draußen üben.“
Für Gewaltandrohungen und ordinäre Schimpfwörter gibt es einen Tag Hausverweis, für „Schlagen mit Hilfsmitteln“ zum Beispiel eine Woche. Darunter steht: „Wer respektiert, wird respektiert.“ und: „Wir wollen gute Stimmung.“
Alper möchte später einmal Friseur werden. Bis dahin hat er noch einen weiten Weg, aber hohe Motivation. Besonders wichtig ist ihm, dass er seinen 13-jährigen Bruder vor einer „Karriere“ in der Jugendkriminalität beschützt. Dafür hat er schon eine Idee: „Ich bringe ihn mit ins STUWE!“
„Wir haben für alle Platz!“, sagt die Hausleiterin, Veronika Wirth, und meint das sowohl räumlich als auch im übertragenen Sinn. Das Haus hat genügend Räume, in denen sich Jugendliche bewegen können.
Die verschiedenen Gruppen sollen miteinander in Kontakt kommen, wünscht sich das STUWE-Team. Das funktioniert manchmal besser, manchmal weniger gut.
Schülerinnen und Schüler aus der nahe gelegenen Waldorfschule und aus den benachbarten Gymnasien besuchen das Jugendzentrum ebenso. Seit vielen Jahren sind es auch junge Menschen mit Behinderung, die im STUWE ein- und ausgehen, um einander außerhalb ihrer Betreuungseinrichtung oder Familie zu treffen. Auch sie sind gern gesehene Gäste.
An eine besondere Begegnung erinnert sich der Jugendleiter und Religionspädagoge Peter Engelhardt. Ein Jugendlicher mit Behinderung hatte Lust aufʼs Boxen, wofür es hier dicke Matten und Handschuhe gibt. Ein im Boxen trainierter Jugendlicher auch.
Als der Box-Neuling nach kurzer Zeit geschlagen war, setzte er sich ins Wohnzimmer des Jugendzentrums und weinte. Das hatte sein starker Gegner im Boxkampf noch nie erlebt. „Was ist passiert?“, fragte er Peter Engelhardt. „Deine Schläge waren zu hart für ihn“, war die Erklärung, woraufhin der Boxer den schwächeren Jugendlichen umarmte und sich entschuldigte.
Ein einschneidendes Ereignis für manche der jungen Gäste im STUWE war die Halloween-Nacht 2022. Sie waren Beteiligte oder Mittäter:innen an den als „Halloween-Krawalle“ bekannt gewordenen Ausschreitungen in der Linzer Innenstadt.
Etwa 200 junge Menschen standen auf der Landstraße zwischen Taubenmarkt und Mozartkreuzung zunächst 30 Polizeibeamten ohne Schutzausrüstung gegenüber und begannen, mit gefährlichen (in Österreich verbotenen) Böllern, später auch Steinen und Flaschen in Richtung Polizei zu schießen.
Per Handy verbreitete sich die Nachricht von der vermeintlichen „Gaudi“ und es kamen immer mehr Jugendliche dazu. Die Polizei rief Einsatzkräfte aus halb Oberösterreich zu Hilfe. Es dauerte, bis genug Beamte beisammen waren, um die Situation beruhigen zu können.
Bis dahin waren die Polizist:innen, aber auch zufällig Anwesende in großer Gefahr. Die „Linz Linien“ nahmen die Oberleitung der Straßenbahn vom Strom, damit sie im Fall einer Beschädigung die Menschen darunter nicht gefährdete. Den Polizeieinsatz leitete Oberst Michael Hubmann (Bild), der rückblickend sagt: „Wir hatten auch großes Glück, dass niemand zu Schaden gekommen ist.“
Neun Personen aus der Menge der Randalierer:innen müssen sich im Lauf des März und Anfang April vor Gericht verantworten. Die zwei jüngsten sind 15 Jahre alt. Ihre Urteile sind bereits gefallen: 7 Monate (davon 1 unbedingt) bzw. 12 Monate (davon 2 unbedingt) in Haft.
Es war ihnen schwere gemeinschaftliche Gewalt, schwere Körperverletzung und Diebstahl durch Einbruch vorgeworfen worden. Wegen ihrer Zeit in Untersuchungshaft wurden die beiden schon auf Bewährung aus der Haft entlassen und werden begleitet.
Dass sie Dummes und Gefährliches gemacht haben, scheint den meisten Jugendlichen klar geworden zu sein. Ob sie es tatsächlich nie mehr wieder machen, wie viele von ihnen beschwören, wird man erst sehen. Das zu verhindern, dürfe die Gesellschaft aber nicht nur der Polizei überlassen, sagt Oberst Hubmann. „Das können wir nur ganzheitlich lösen. Jugendliche – egal ob mit Migrationshintergrund oder ohne – suchen sich Angebote. Nur Fernsehen ist fad. Das Angebot an dem Abend war: ‚Wir gehen auf die Polizei los!‘ Das war offenbar attraktiver als alles andere.“
Das Problem könne man nur lösen, indem man den jungen Menschen „ein vernünftiges, strukturiertes Angebot macht, was sie mit ihrer Zeit anfangen können, damit sie nicht auf solche Ideen kommen“.
In dieselbe Kerbe schlägt der Sozialarbeiter und Bewährungshelfer Stefan Pichler vom Verein NEUSTART (Bild). „Die Jugendlichen brauchen Perspektiven. Diese können Sozialarbeiter:innen nicht aus dem Nichts schaffen.“ Dazu gehöre etwa eine Tätigkeit, die Menschen interessiert und erfüllt. „Kriminalität ist eine Folge der Umstände. Wenn sich die Umstände ändern, ändern sich die Menschen.“
Bei manchen der jungen Menschen stellt eine Verurteilung auch ihren Aufenthalt in Österreich in Frage. Stefan Pichler hofft, dass sie die Aufenthaltserlaubnis nicht verlieren. „Ich höre in den Gesprächen wirklich viel Reue. In diesem Alter sind sich die Menschen nicht bewusst, dass es jemanden zerreißen kann, wenn ein Böller trifft. Und dass es keine gute Idee ist, die Staatsmacht so frech herauszufordern.“ Dass Jugendliche Halt finden im Leben, dafür spielen Orte wie die Jugendzentren eine wichtige Rolle.
Jugendleiter Peter Engelhardt beobachtet die Veränderung im Jugendzentrum, das vor Jahrzehnten als elitär galt. „Noch vor wenigen Jahren haben wir mit den Jugendlichen höchstens Schultheater-Aufführungen besucht.
Jetzt begleiten wir sie auch zu Gericht.“ Papst Franziskus ermutigt, „an die Ränder“ zu gehen. Was auch immer „die Ränder“ sind: Das STUWE ist offen dafür.
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