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Überall an den Ästen brechen sie hervor: winzige rötlich weiße Knospen und Blütenansätze. Neylin Lisseth weiß jetzt, was sie und ihr Vater tun müssen, damit die Sprossen nicht verkümmern, sodass sie in ein paar Monaten Kakaofrüchte in Säcke verpacken und verkaufen können. Am Landwirtschaftsprogramm der Atlantikuniversität in Waslala hat sie das gelernt.
Von Managua, der Hauptstadt Nicaraguas, bis hierherauf, in die nordkaribische Autonomieregion, ist es ein weiter und mühsamer Weg. Ein neuer Kreisverkehr leitet den Verkehrsstrom vom Flughafen weg hinaus aus der Stadt. Die Straßen um die Hauptstadt sind besser geworden. Die Autos auch. Aber gleich hinter den Schatten spendenden Bäumen sind die einfachen Hütten aus Holz und Blech, in denen ein großer Teil der Menschen wohnt, im selben Zustand wie vor 30 Jahren. Bis auf rund 1.000 Höhenmeter führt der Weg hinauf nach Matagalpa, neben der Straße die Trockenplätze für den handgelesenen Kaffee, der als Qualitätsware in europäischen Tassen seinen Duft entfalten wird. Die Einheimischen trinken des Ausschuss.
Unser Ziel liegt noch weiter – Waslala zunächst. Über die löchrige Straße mühen sich Lastfahrzeuge die Hänge und Kurven entlang. Zusammen mit Haiti gilt die Karibikregion Nicaraguas als das ärmste Gebiet Lateinamerikas. In den USA ausrangierte Busse verkehren hier noch jahrelang, dazwischen sieht man Reiter auf ihren Pferden. Ohne sie gäbe es kein Fortkommen im Land, vor allem nicht in den Regenzeiten. Auch hier: die halb offen Behausungen der Menschen dicht an der Straße.
Waslala ist einer von neun Standorten der Atlantikuniversität. 2003 wurde hier eröffnet. Das Startgeld kam von der oberösterreichischen Entwicklungsorganisation SEI SO FREI. An der Universität werden Lehrerinnen und Lehrer ausgebildet, auch Medizin und Krankenpflege werden gelehrt, Wirtschaft – und Landwirtschaft. Bildung ist der Schlüssel für den Weg aus der Armut. 400 Studierende gebe es hier, erzählt Direktorin Rosidani Nolina Arguello.
Die Karibikkregion wurde lange vernachlässigt im Land. Es sind dort die Wohngebiete der Miskitos und anderer indigener Volksstämme, ebenso der Nachfahren afrikanischer Sklaven. Einem bis heute populären Mann, nämlich Ray Hooker, ist es zu verdanken, dass die Region 1988 Autonomierechte bekam – und vor allem Schulen. Zuvor war die Region intensiv ausgebeutet worden, von Engländern, später von nordamerikanischen Firmen, die hier ihre Plantagen anlegten und Bodenschätze holten.
Seit 2017 gibt es das Landwirtschaftsprogramm an der Universität, vor allem in Siuna. Wissen über den Anbau von Kakao, Kaffee, Tierhaltung und Naturschutz wird hier vermittelt. Die junge Neylin Lisseth Orocco Borge hat die Kurse für Kakaoanbau besucht. Ihre Familie hatte ihre damalige Finca gegen eine näher an der Straße gelegene getauscht. Da standen die Kakaopflanzen, aber aus den Früchten wurde nichts! So machte Neylin die Kurse und weiß nun, worauf es ankommt. Nicht zu viel und nicht zu wenig Schatten darf es geben. Die Sträucher stehen in Mischkultur mit Bananen, dazwischen höhere Schattenbäume. Sogar Orangen haben sie. Vater Felia Pedro ist stolz auf seine Tochter, mit der er nun die Plantage pflegt. Man sieht, wie sich alles zum Besseren wendet. Ein Schädling, sehr kleine Ameisen, machte zu schaffen. Die Insekten zerfraßen die Blütenknospen, doch Neylin hat gelernt, wie man ohne Gift mit solchen Plagen fertigwird. Das Gegenmittel aus Schimmel stellen sie selbst her. Alle zwei Wochen können sie ernten. Die Kakaobohnen werden in Säcken zu 36 Kilo zur Annahmestelle gebracht, doch die jungen Kakaobäuerinnen und -bauern hier im Dorf Ocote Tuma wollen sich zusammentun, um auch den nächsten Verarbeitungsschritt, das Fermentieren, selbst zu übernehmen. So ließe sich ein besserer Preis erzielen.
Die bereits ausgebildeten Schülerinnen und Schüler von URACCAN bringen Optimismus in die Region. Die Leute spüren: Armut muss nicht ewig sein. Wohlstand in Bescheidenheit ist mit eigener Arbeit möglich.
Zur Sache
Besorgniserregender werden die Nachrichten aus Nicaragua. Wieder einmal spitzt sich die politische Lage zu. Trotzdem: Es gibt Gutes zu berichten.
Präsident Daniel Ortega, der einstige Revolutionär und Sandinistenkämpfer gegen das Somoza-Regime, ist reich geworden – während das Volk in der Armut blieb. Damals, in den 1980er-Jahren, blickte die Welt auf Nicaragua. Die USA fürchteten ein zweites Kuba unter kommunistischem Einfluss. Die politischen Kräfteverhältnisse wechselten, doch wer immer an der Macht war: Die wirtschaftliche Lage wurde immer schwieriger. Letztes Jahr wurde wieder auf Demonstranten geschossen, nachdem Ortega als „Sozialreform“ ankündigte, die Pensionen zu kürzen. Unternehmerinnen und Unternehmer sowie qualifizierte Leute verließen das Land. Der im Aufbau befindliche Tourismus brach vollkommen ein.
Doch gerade aus der ärmsten Region, der Karibikseite Nicaraguas, gibt es gute Nachrichten. Hier leben Menschen ganz unterschiedlicher Kulturen: die Nachkommen der afrikanischen Sklaven und verschiedene indigene Stämme, hauptsächlich Miskitos. Auf ihre Kultur wurde früher nicht geachtet.
Nur wenige Jahre nach Erlangung des Autonomiestatus im Jahr 1988 wurde 1994 die Atlantikuniversität
URACCAN gegründet – als „eine Tochter der Autonomie“, wie Rektorin Alta Hooker sagt. An inzwischen neun Standorten in der abgelegenen Region gibt es nun ein hochwertiges Bildungsangebot. „Ohne SEI SO FREI gäbe es die Atlantikuniversität nicht“, zeigt sich Alta Hooker bei der 25-Jahr-Feier in der Stadt Bilwi, dem früheren Puerto Cabezas, dankbar.
Sei so Frei fördert vor allem das Landwirtschaftsprogramm. Die Universität gibt den Indigenen nicht nur ihre Würde zurück – sie baut vielmehr auf deren Wertvorstellungen, Erfahrungen und Wissen auf. Hier zählt die eigene Geschichte. Hier werden die westliche Medizin und die Erfahrung von Naturheilern und Schamanen nicht als Gegensatz, sondern als jeweilige Ergänzung gesehen. Gemächlich spaziert während des Jubiläums-Festaktes ein Schwein an der Bühne vorbei. Das verwundert hier niemanden. Hier geht es um die Achtung der Natur. Mensch und Tier leben in den Dörfern und sogar in den Städten eng beieinander – Raum und Leben für alle.
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