Gedenkjahre, Gedenkfeiern sind fester Bestandteil unserer Geschichtskultur geworden. Um dem Rechtsextremismus vorzubeugen, wird die Jugend immer wieder angehalten, sich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit zu beschäftigen. Aber können wir aus der Vergangenheit überhaupt lernen? Fachleute historischen Lernens sind skeptisch geworden, was den Erfolg durch die Vermittlung von Daten und Fakten aus der Vergangenheit anlangt. Sogar der Besuch einer Gedenkstätte kann kontraproduktiv sein, wie Gedenkstättenpädagogen immer wieder berichten. Vielversprechend ist der Kontakt mit Zeitzeugen. Nun nähern wir uns aber dem Tag, an dem die letzten Zeitzeugen sterben.
Auf der Suche nach Alternativen wurden in jüngerer Zeit die Biografien wiederentdeckt; nicht die alten Biografien als Heldengeschichten, sondern neuere – kritische – biografische Arbeiten. Aus dem kirchlichen Bereich fallen einem sofort Namen ein: Franz Jägerstätter, der konsequent seinem Gewissen folgte. Der Linzer Diözesanpriester Dr. Johann Gruber, der seinem priesterlich-pädagogischen Auftrag bis in das Konzentrationslager Gusen treu blieb. Sr. Restituta Kafka, die ihre resolute Art, sich kritisch zum Regime zu verhalten, bis zum Tod beibehielt. Der Benediktiner Josef Pontiller, der ungeschminkt die Verbrechen der Nationalsozialisten an der Menschheit benannte. Der Jesuit P. Josef Schwingshackl, der den Ordensoberen Laschheit im Kampf gegen den Nationalsozialismus vorwarf. Sie alle stehen für den Mut zum eigenen Gewissen, sie sind Vorbilder für eine christliche Haltung im Leben – bis in den Tod! Gerade junge Menschen suchen Vorbilder, die ihre Religion glaubwürdig lebten. Schulische Projekte zu derartigen biografischen Annäherungen sind sehr überzeugend.
Aber es geht es nicht nur um die „prominenten“ Zeugen des Glaubens: Es gibt viele beeindruckende Persönlichkeiten aus dem Alltag von damals, die es wert sind, studiert zu werden – und das nicht nur für Schulen, sondern auch für Pfarren: Zum Beispiel der Lehrer Josef K., der als über Vierzigjähriger die Feldpostbriefe aus seiner Jugendzeit entdeckte, die er als Wehrmachtssoldat seiner Mutter schrieb. Sein damaliger jugendlicher NS-Fanatismus erschütterte ihn so sehr, dass er fortan Schülergruppen freiwillig durch das KZ Dachau führte, um ihnen von der NS-Zeit, aber auch von seinem persönlichen Weg zu erzählen. Der Benediktinerpater Georg H., der immer und immer wieder die Feldpostbriefe seines Vaters an seine Mutter studierte und entdeckte, dass darin beeindruckende Glaubenszeugnisse enthalten waren. Da ist der treu katholische Kapellmeister Franz H., der trotz behördlichen Verbots mit einer Musikkapelle die kirchliche Prozession begleitete und dafür prompt den Einberufungsbefehl erhielt – und bald darauf an der Front zu Tode kam. Es gibt viele Möglichkeiten, in der eigenen Region ähnliche Persönlichkeiten zu entdecken.
Wie können wir künftig ohne Zeitzeuginnen und Zeitzeugen aus der Vergangenheit lernen? Am besten, indem wir anhand von Quellen mit Menschen von damals in Kontakt treten. Auch dieser Kontakt schafft Begegnung, es entsteht Beziehung. Lokale Geschichtskreise und schulische Projektgruppen beweisen es: Geschichtsbewusstsein verändert die Gegenwart. Das Christentum ist von seinem Wesen her eine geschichtliche Religion und kannte immer den Wert der Geschichte. Gemeinsame Beschäftigung mit der Geschichte in der Pfarre, im Kreis von Interessierten kann auch heutzutage nur empfohlen werden.
Zum Autor: Helmut Wagner lehrt an der Pädagogischen Hochschule Oberösterreich und ist Inhaber des Wagner Verlags. Von ihm stammt die Biografie „Dr. Johann Gruber. Priester - Lehrer - Patriot (1889-1944)“
Eine virtuelle Befreiungsfeier von Mauthausen findet am 10. Mai 2020 von 11 bis 12 Uhr statt, siehe auch: www.mkoe.at.
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