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Die Flüchtlingswelle 2015, bei der auch vermehrt traumatisierte Kinder nach Österreich gekommen sind, hat das Thema stärker ins Bewusstsein gerückt. Doch in Schulen begenet man nicht nur Traumaerfahrungen aufgrund von Krieg oder Flucht. Kinder und Jugendliche können nach Unfällen, Erkrankungen, schwerer Vernachlässigung, Gewalt und nach sexueller Gewalt Traumafolgestörungen entwickeln. Es sind einmalige Erlebnisse oder lang andauernde Situationen, denen man ohnmächtig ausgeliefert ist. „Man kann nicht generell sagen, was ein Trauma auslöst und was nicht. Das kommt sehr auf die Persönlichkeit, das Alter und die Umstände an“, erklärt die Psychotherapeutin Helga Kohler-Spiegel, „und wie gut die Umgebung das schreckliche Erlebnis abfangen kann.“
„Schläge und Verletzungen können Wunden am Körper, aber auch auf der Seele hinterlassen. Auf der seelischen Ebene sind sie besonders schwer aufzuarbeiten. Das gelingt nicht allein, Kinder und Jugendliche sind mit der Verarbeitung dieser Wunden überfordert und brauchen Hilfe“, so beschreibt Helga Kohler-Spiegel die Situation traumatisierter Kinder.
Die Expertin spricht von Grundmustern, die als Folge eines Traumas zu beobachten sind. Am bekanntesten sind Kampf und Flucht. Bei Kindern kann man entweder ein auffälliges Verhalten, ein Herumschlagen und Aggression beobachten oder den emotionalen Rückzug, Ängstlichkeit und keine Beteiligung am Unterricht. All das könnte aber auch andere Ursachen haben, etwa Mobbing. Wenn eine Lehrperson ein auffälliges Verhalten bemerkt, ist es daher am besten, mit dem Kind zu reden. „Du, mir fällt auf, dass du in letzter Zeit sehr aggressiv bist. Oder, dass du dich sehr zurückziehst“, um dann, wenn es möglich ist, ins Gespräch zu kommen. Dieses Erkennen und Wahrnehmen ist ein erster, wichtiger Schritt, der selbstverständlich im geschützten Rahmen und nicht vor der Klasse stattfindet. Das Kind wird nicht sofort, vielleicht aber zu einem späteren Zeitpunkt auf das Gesprächsangebot zurückkommen. Besonders bei jüngeren Kindern kann man auch die Eltern ins Gespräch einbeziehen. „Lehrpersonen können ein Trauma auffangen, sie können ein Kind gut wahrnehmen, mit ihm in Kontakt und Beziehung sein und so eventuell auch sehen, wenn sich ein Kind sehr verändert. Lehrer können das Trauma aber nicht lösen. Dafür sollten sie das betroffene Kind an geschulte Fachleute wie Vertrauenslehrer, Sozialarbeiter oder Psychotherapeuten vermitteln“, rät Helga Kohler-Spiegel.
Traumatisierte Menschen sind häufig – manche ständig – in einem Zustand der Übererregung. Unberechenbare Situationen führen bei ihnen zu noch mehr Stress. Grundsätzlich sind daher verlässliche Abläufe für sie wichtig. „Darum wäre es gut, den Unterricht so zu gestalten, dass die Kinder eine stabile Orientierung haben, dass Veränderungen angekündigt werden oder, dass es bestimmte Rituale gibt. Dann fühlen sich traumatisierte, aber auch die anderen Kinder sicherer. So ein Unterricht kann übrigens sogar präventiv mögliche Verhaltensauffälligkeiten verhindern“, weiß die Psychotherapeutin.
Ein zusätzliches Angebot, um Kinder zu stabilisieren, sind bestimmte Übungen, wie etwa Atemtechniken oder Körperübungen. „Damit löst man Spannungen, bei traumatisierten Menschen helfen sie gegen ihre Überanspannung. Sie tun aber auch den Lehrerinnen und Lehrern selbst gut. Solche Übungen oder Resilienztechniken lassen sich im Unterricht zwischendurch für ein paar Minuten einstreuen.“
Helga Kohler-Spiegel referiert beim Linzer Forum Religionspädagogik am 21. März über traumatisierte Kinder und Jugendliche in der Schule.
Das Forum Religionspädagogik ist ein Zusammenschluss des Instituts für Katechetik, Religionspädagogik und Pädagogik der Katholischen Privat-Universität Linz) mit dem Institut Religionspädagogik und dem Institut für Fort- und Weiterbildung (beide an der PHDL). Das Forum will „Religion ins Gespräch bringen“, indem es wichtige aktuelle (religions-)pädagogische Themen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt macht.
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