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„Eile mit Weile“ – das wusste schon die Schildkröte in der bekannten Fabel von Äsop. In der heutigen Leistungsgesellschaft gilt allerdings: Wer langsam ist, ist faul. Doch steigende Anforderungen, Tempo oder ermüdende Routinen in der Arbeitswelt können zu Erschöpfungssyndromen wie Burnout oder anderen psychischen Erkrankungen führen. Markus Fischl, Facharzt für Psychiatrie und Arbeitsmediziner am Neuromed Campus in Linz, verweist in diesem Zusammenhang auf den Stressreport, der vor einigen Jahren in Deutschland veröffentlicht wurde. Die befragten 20.000 Arbeitnehmer/innen fühlten sich vor allem gestresst, weil sie zu viele verschiedenartige Aufgaben gleichzeitig betreuen mussten. Als weitere Stressfaktoren gaben sie starken Termin- und Leistungsdruck an, Monotonie, Zeitdruck, ständig neue Aufgabe sowie zu enge Zeitvorgaben. Davon würden auch seine Patienten berichten, sagt der Psychiater: weniger Personal, aber mehr Arbeit, die immer schneller erledigt werden soll. Das stellt viele Mitarbeiter/innen vor Herausforderungen. Bereits jeder zehnte Krankenstandstag sei auf psychische Erkrankungen zurückzuführen, so Psychiater Markus Fischl.
Die Schnelllebigkeit und ihre Folgen beschäftigt auch immer mehr junge Menschen. Der „owavomgas“-Blog, ein Projekt des Medienkulturhauses Wels, fordert Jugendliche dazu auf, ihre Gedanken zum Thema Entschleunigung in Form von Texten, Fotos oder Videos an die Redaktion zu senden. Dieser gehört unter anderem der 20-jährige Jakob Ille an: „Ich habe mich schon vorher mit dem Thema beschäftigt, aber seit ich bei dem Blog mitmache, halte ich Augen und Ohren natürlich noch mehr offen.“
Jakob Ille sieht die ständige Erreichbarkeit, die durch Smartphone und Co entsteht, als großen Stressfaktor und ortet dabei eine gewisse Entfremdung zwischen den Menschen: „Manche treffen sich mit dir, schreiben dann aber die ganze Zeit mit irgendjemand anderem übers Handy. Sie leben nicht mehr im Moment, so kitschig das auch klingt.“ Es bräuchte mehr Selbstdisziplin, meint der junge Welser und nimmt sich auch an der eigenen Nase: „Oft verbringe ich Zeit damit, unnötige Facebookposts zu lesen oder Nachrichten zu beantworten, die auch später beantwortet werden könnten.“ In der Arbeitswelt lassen die modernen Technologien die Grenzen zwischen Job und Freizeit oft verschwimmen, wie Psychiater Markus Fischl erklärt: „Für manche meiner Patienten ist es ganz normal, auch am Sonntag Mails zu beantworten oder über ihr Home-Office tätig zu sein.“
Trends wie Slow Food, Slow Cooking, Zen-Wandern oder Pilgern versuchen der Hektik gegenzusteuern. Viele suchen auch Entspannung beim Yoga, autogenem Training oder Meditieren. „Bei der Entschleunigung ist wichtig, dass die Methode Freude macht und zur jeweiligen Person passt“, sagt Markus Fischl. „Wenn ich wieder einen klaren Kopf bekommen will, setze ich mich ins Gras und nehme mir Zeit, über die Dinge nachzudenken, die mich gerade beschäftigen“, erzählt Jakob Ille über seine ideale Entspannungsmethode. Nicht allen fällt das Nichtstun leicht, aber sowohl Psychiater Markus Fischl als auch Jakob Ille sind überzeugt, dass jeder die „Kunst des Abschaltens“ lernen kann. „Man muss sich nur bewusst Zeit dafür nehmen.“
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