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Viele Menschen haben Angst vor dem Tod. „Am meisten Angst sehe ich vor dem Loslassen“, Trauerbegleiter Jörg Fuhrmann beobachtet das sowohl bei den Sterbenden als auch bei den Hinterbliebenen. Ein wichtiger Grund dafür sind für Fuhrmann die vielen offenen Baustellen und Wunden, die man im Laufe des Lebens zurückgelassen hat und um die man sich bis jetzt nicht weiter gekümmert hat. „Man sollte sich immer wieder begegnen, auf der Suche nach sich selbst sein und versöhnen. Dann kann man darauf hoffen, dass man beim Sterben mit einem gütigen Blick auf das Leben zurückschauen kann.“
Jörg Fuhrmann möchte, dass man dem Tod mit Respekt begegnet. Man muss die Sterblichkeit und Endlichkeit des Lebens zulassen und ihr bewusst begegnen. „Nur wenn ich als Zuhörer gut bei mir bin, kann ich begreifen, wer der andere ist. Das Ende des Lebens muss für den Sterbenden erträglich sein, nicht für mich. Ich muss auch nicht Feuerwehr am Ende des Lebens spielen.“ Versöhnungen oder Wünsche sollten möglichst nicht bis zum Lebensende aufgeschoben werden. Im Mittelpunkt steht der sterbende Mensch und seine emotionalen Bedürfnisse. Ihn soll man würdevoll und mit Empathie bis zu seiner Brücke am Ende des Lebens begleiten – das nennt Fuhrmann emotionale Kompetenz.
Alte Menschen leiden oft darunter, dass man sie nicht in den Arm nimmt, sie streichelt, berührt. „Das ist der soziale Tod“, findet Jörg Fuhrmann. Als Beispiel schildert er eine Situation mit einer schwerkranken Brustkrebs-Patientin: „Versorgen Sie nicht meine Wunde, sondern nehmen sie mich bitte in den Arm“, das war ihr Wunsch an ihn. So wichtig ein richtiges Lagern im Bett ist, soll man dabei immer ins Gesicht des Patienten schauen und sich fragen: „Will er das auch?“ Denn die Erlebnisfähigkeit bleibt bis zum Schluss. „Auch Menschen mit Demenz sehen zumindest alles. Man sollte sie nicht korrigieren, sondern versuchen in ihre Welt zu kommen und dort mit ihnen zu kommunizieren.“
Sich mit dem Sterben und dem eigenen Leben zu beschäftigen ist nicht unbedingt eine Frage des Alters. In seinen Seminaren und Workshops fordert Jörg Fuhrmann die Teilnehmer/innen auf, ganz persönliche Dinge in ihren letzten Koffer zu packen. „Seien Sie dankbar dafür, was Sie geschafft haben und versöhnen Sie sich mit der eigenen Geschichte. Stellen Sie sich Fragen, die nur Sie selbst beantworten können“, fordert er dabei auf.
Fuhrmann weiß aber auch, dass die Beschäftigung mit dem Leben und dem Sterben „unendlich viel Arbeit“ ist. Die tägliche Begegnung mit Sterbenden, Demenzkranken und ihren Angehörigen sieht er als Bereicherung und Geschenk an.
„Für mich ist Sterben die wichtigste Zeit im Leben. Da kommt alles zusammen. Es ist wie Herbst. Zeit um zusammenzuräumen. Und Zeit um loszulassen.“ Auch das sei sehr schwer. „Aber ich kann mir nichts mitnehmen, nicht einmal ein Handgepäck.“ Den Abschied kann man nur bedingt gestalten, man tut gut daran, ihn zuzulassen und anzunehmen.
„Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.“
Cicely Saunders (1918-2005), Ärztin, sie gilt als Begründerin der modernen Hospizbewegung und Palliativmedizin.
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