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Mit ihrem Buch „Wegwerfen ist eine Sünde“ schaut die Zeithistorikerin Helene Belndorfer auf ganz andere Zeiten. Sie liegen fast 100 Jahre zurück. Konsum gehörte nicht zur Tagesordnung. Sie lässt 60 Frauen und Männer der Geburtsjahrgänge 1919 bis 1958 erzählen, Zeitzeugen, die von Not und Armut, aber auch von Wünschen und Träumen berichten. Und davon, dass so gut wie nichts im Müll landete.
Weder in den Kriegsjahren noch in den Zeiten davor und danach konnten sich die Menschen viel leisten. Die meisten waren arm, viele litten an Hunger und Entbehrungen. Gerade deshalb, weil dies in der heutigen Zeit schwer vorstellbar ist, sind die Texte umso eindrucksvoller, weil es allesamt persönliche Erinnerungen sind. Da ist etwa zu lesen, dass nur in der Küche geheizt wurde, das Wasser im Waschkrug war eingefroren. Die Kinder bekamen nur für den Winter Schuhe, mit Holzsohle und gleich ein paar Nummern zu groß, damit man sie länger tragen konnte. Als Beleuchtung diente Petroleumlicht, Fleisch gab es, wenn überhaupt, nur am Sonntag, und Süßigkeiten waren eine Rarität. Auch von Müttern, die sich der Kinder wegen mit ganz kleinen Portionen zufriedengaben und selbst hungrig blieben, ist da zu lesen.
Es sind Alltagsgeschichten, wie sie viele Kinder und Jugendliche damals so oder so ähnlich erlebt haben. Keine von „guten alten Zeiten“ also. Erst in den 1950er- und 1960er-Jahren ging es langsam bergauf. In Erinnerung geblieben und im Buch wiederzufinden sind aus dieser Zeit auch Marken, die man noch heute kennt: Manner, Elin, Puch oder Ovomaltine.
So unterschiedlich die Erzählungen auch sind, ihnen allen ist zu entnehmen, dass man mit dem, was man hatte, auch sorgsam umging. Unmittelbarer Grund dafür war natürlich die Not. Doch die Achtsamkeit ist diesen Menschen auch geblieben, als es ihnen besser ging. Gekauft wurde auch später nur das, was man benötigte, Wegwerfen blieb „eine Sünde“. Der neue Tisch, der schon beim Transport Schäden abbekommen hatte, wurde mit einem Tuch versehen und diente danach noch Jahre als Arbeitstisch. Hemden, deren Ärmel unansehnlich geworden waren, trug man kurzärmelig weiter. Vom Festtagsbraten wurde fünf Tage gegessen, auch dann, wenn er schon trocken war.
Heute leben wir in einer Zeit, in der Bäcker aus Hygienegründen altes Brot im Müll entsorgen und Obst und Gemüse tonnenweise weggeworfen werden, in der immer mehr produziert und immer weniger repariert wird und in der die Persönlichkeit vieler Menschen vom Konsum bestimmter Marken abhängig ist. Klimawandel und Rohstoffknappheit lassen die Schilderungen in diesem Buch in einem ganz neuen Licht erscheinen. Die Botschaft soll nicht der erhobene Zeigefinger sein, es soll und kann auch nicht wieder so werden wie „damals“. Nachdenken und sinnvolleres Konsumieren sind aber gerne erlaubt. «
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