Wort zum Sonntag
Nach San Michele kommt man – wenn nicht gerade ein Corona-Jahr ist – leicht: Ein Linienboot (Vaporetto) bringt Einheimische und Tourist/innen zu der von einer Mauer umgebenen Insel. Einst waren es sogar zwei Eilande, San Michele und San Cristoforo della Pace. Auf beiden gab es Klöster und noch heute ist die Kirche San Michele in Isola zu besichtigen. Der Friedhof entstand Anfang des 19. Jahrhunderts, als man europaweit begann, die Friedhöfe aus den Städten zu entfernen. In der Lagune von Venedig war die Insellösung naheliegend, 1836 wurden beide Inseln verbunden und übernahmen den Namen San Michele.
Der Friedhof ist heute noch in Verwendung, weswegen die Insel auch vergrößert werden musste: Zusätzlich zur alten Anlage entstand zum Beispiel der Hof der vier Evangelisten des britischen Architekten David Chipperfield. Und es wäre nicht Venedig, wenn auf diesem Friedhof nicht berühmte Persönlichkeiten begraben wären, wie etwa der Komponist Igor Strawinsky. Eine Gedenktafel erinnert zudem an den österreichischen Physiker Christian Doppler. Sein tatsächliches Grab ist nicht mehr bekannt. Das mag auch daran liegen, dass eine ständige Erdbestattung in San Michele nicht vorgesehen ist: Aus Platzmangel werden die Überreste nach einer gewissen Zeit exhumiert und in Ossuarien gesammelt. Damit erinnert San Michele ein bisschen an die Praxis am Friedhof von Hallstatt.
Das ist einer der wesentlichen Unterschiede zum Friedhof auf Hart Island nahe New York: Dort ist es eher selten, dass Überreste exhumiert werden. Wobei man sich keine Einzelgräber vorstellen darf: Auf Hart Island befindet sich nämlich der Armenfriedhof von New York. Im Englischen wird der Armenfriedhof „Potter’s field“ (Töpferfeld) genannt, eine Bezeichnung aus dem Neuen Testament: Judas Iskariot wollte die berühmten 30 Silberlinge für seinen Verrat an Jesus nicht behalten, die Hohepriester wollten sie aber auch nicht in den Tempelschatz geben: „Und sie beschlossen, von dem Geld den Töpferacker zu kaufen als Begräbnisplatz für die Fremden.“ (Mt 27,7)
Auf dem „Potter’s field“ Hart Island werden bis heute Obdachlose, unidentifizierte Personen und Menschen bestattet, deren Begräbnis aus welchen Gründen auch immer niemand übernimmt. Zwischen 1.000 und 1.500 Menschen sind das durchschnittlich im Jahr. Insgesamt liegen geschätzte 850.000 Personen dort begraben. Ohne jede Zeremonie werden ihre kistenartigen Särge in Reihen und aufeinandergestapelt vergraben. Die Lage wird in einem Verzeichnis festgehalten, einzelne Grabstellen gibt es nicht – mit einer Ausnahme: Jene frühen Aidstoten der 1980er-Jahre, bei denen man sich nicht sicher war, ob von den Leichen Ansteckungsgefahr ausgeht. „SC-B1 1985“ steht auf einer kleinen Stele: „Special child – Baby 1“, ein 1985 an Aids gestorbenes Kind ist hier begraben. Später wurden Aidstote auf Hart Island ganz „normal“ in Massengräbern bestattet – so wie heuer auch verarmte Opfer der Corona-Pandemie. „Prominenz“ unter den Bestatteten würde man auf Hart Island nicht erwarten. Aber mit Bobby Driscoll, einem im Leben tief gefallenen einstigen Kinderstar Hollywoods, ist sogar ein Oscar-Preisträger darunter.
Die Bestattungen selbst wurden jahrzehntelang von den Häftlingen der Gefängnisinsel Riker Island durchgeführt. Hart Island war daher auch nicht frei zugänglich, sondern nur zu bestimmten Terminen auf begleiteten Touren. Erst im Vorjahr kam auf Druck einer Bürgerinitiative Bewegung in die Sache: Ab Juli 2021 soll die New Yorker Parkverwaltung die Insel übernehmen und bessere Zugänge schaffen – insbesondere für Angehörige der Toten.
Hart Island und San Michele sind Inseln der Toten. Und doch erzählen sie unterschiedliche Geschichten: Hier der städtische Friedhof mit anspruchsvoller Architektur, dort der „Töpferacker“ mit einigen Ruinen auf einer verlassenen Insel. Hier die Totengesellschaft einer Stadt wie Venedig, dort die Verarmten, Vergessenen und Seuchenopfer. Im Tod sind alle gleich, heißt es. Auf Erden stimmt das nicht. Aber für den Himmel gibt es Hoffnung.
Wegen der stark steigenden Corona-Infektionen sollen heuer zu Allerheiligen und Allerseelen keine gemeinsamen Friedhofsfeiern stattfinden. Die Bischofskonferenz reagiert damit auf ein Ersuchen der Bundesregierung und hält fest, dass das Totengedenken nicht in gewohnter Weise möglich ist. Die Gräber werden aber gesegnet werden, wenn auch nicht im Rahmen einer gemeinsamen Feier. Auch die Bundesregierung appellierte, am Allerheiligen- und Allerseelen-Wochenende auf Familientreffen zu verzichten.
Gräber besuchen. Die Bischöfe ermuntern aber ausdrücklich dazu, anlässlich von Allerheiligen und Allerseelen die Gräber zu besuchen und für die Verstorbenen zu beten. „Von größeren Familienzusammenkünften möge aber heuer in diesem Zusammenhang Abstand genommen werden.“ Hilfen für das persönliche Gebet für die Verstorbenen zu Hause und an den Gräbern sind im Gotteslob, auf www.dioezese-linz.at und
www.netzwerk-gottesdienst.at zu finden. Seitens der Diözese Linz wurden Alternativen zu gemeinsamen Feiern auf Friedhöfen für die Pfarren vorgeschlagen: Verteilen von Segensgebeten; Seelsorger/innen, die am Friedhof präsent sind; kurze Gebetsimpulse über vorhandene Lautsprecher.
Begräbnisse. Unterdessen wurden die übrigen Coronamaßnahmen angepasst. Bei Begräbnissen wurde zum Beispiel die maximale Teilnehmer/innenzahl mit 100 festgesetzt. Hier gilt aber zu beachten: In der Rahmenordnung der Österreichischen Bischofskonferenz ist geregelt, dass bei Gottesdiensten vor oder nach einem Begräbnis die Bestimmungen für Messen gelten. Das ermöglicht dabei in vielen Fällen die Teilnahme von mehr Personen beim Requiem als beim Begräbnis.
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