Wort zum Sonntag
Die Möglichkeit sich impfen zu lassen, galt in dem mittelamerikanischen Land in den 1980er Jahren als Wunder, von dem man nicht einmal zu träumen wagte.
Als am 19. Juli 1979 die Kämpfer der aufständischen Sandinsten siegreich in die Hauptstadt Managua einzogen, schien ein neues Zeitalter anzubrechen. Der herrschende Somoza-Familienclan war geflohen. Seit Mitte der 1930er Jahre hatten er Nicaragua schamlos ausgebeutet. Die Gier kannte keine Grenzen.
Selbst das Erdbeben von 1972 mit 10.000 Toten nutzte die Somoza-Familie und leitete die internationalen Hilfsgelder in die Privatkasse um. Die Bevölkerung blieb auf der Strecke. Nach einem Bürgerkrieg, der für die Somozas im luxuriösen Exil in den USA endete, keimte bei den Menschen Hoffnung auf eine bessere Zukunft auf.
Diese Hoffnung wurde anfangs nicht enttäuscht. Eine landesweite Bildungskampagne, die mit dem Priester und Literaten Ernesto Cardenal verbunden ist, und eine flächendeckende Gesundheitskampagne führten zu spürbaren Verbesserungen.
Inspiriert von diesem Geist des Aufbruchs sind die Darstellungen an der Altarwand der katholischen Kirche von Waslala zu deuten. Das zentrale Gemälde hinter dem Altar zeigt einen muskulösen Jesus mit entblößter Brust, der heftig mit Schriftgelehrten streitet. Darüber ist unter anderem der 1980 ermordete Erzbischof Oscar A. Romero aus dem Nachbarland El Salvador zu sehen.
Ganz rechts ist die Impfung eines Kindes zu sehen.
Das linke untere Bild zeigt einen Bauern, der mit einem Ochsengespann pflügt, und das rechte Bild eine Gruppe von Menschen, die um ein kleines Kind mit nackten Hintern stehen. Das Kind wendet sich erschrocken seinen Kopf zurück, vermutlich, weil es den Einstich einer Spritze spürt. Es wird von einer Gesundheitshelferin geimpft.
Zugang zu Arzt, Krankenhaus oder Medikamenten – all das hat es während der Somoza Diktatur für die arme Bevölkerung nicht gegeben. Eine kostenlose Gesundheitsversorgung und Impfungen, die Kinder vor dem frühen Tod bewahren, waren für gläubige Menschen Nicaraguas so überraschend, dass Gott seine Hand im Spiel haben musste. Darum hatte die Impfszene auch ihren Platz in einer Kirche. Maßnahmen des Gesundheitssystems waren aus der Sicht der Menschen keine Selbstverständlichkeit, die sie sich ausschließlich selbst erkämpft hatten. Sie waren ein Zeichen, dass das Reich Gottes ein ganz klein wenig angebrochen war. Diese Geschenke Gottes – wie zum Beispiel die Impfung - galt es auch anzunehmen.
In Waslala, einer abgelegenen Kleinstadt mitten in einem Waldgebiet, blühte einst die befreiungstheologisch orientierte „Volkskirche“. Inzwischen sind die Wandbilder übermalt. Der hoffnungsvolle Aufbruch des Landes war nicht von Dauer. Heute regiert Daniel Ortega – einst Befreier von der Somoza-Herrschaft – Nicaragua autoritär.
Sämtliche Darstellungen in der Kirche in Waslala wurden in der Zwischenzeit wieder übermalt.
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