Wort zum Sonntag
Für den preisgekrönten Oberammergauer Spielleiter Christian Stückl und die Schauspielenden Rochus Rückel und Sophie Schuster sind Tradition, Selbstkritik und interreligiöser Dialog wichtig.
Das Passionsspiel in Oberammergau hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. War das „Spiel vom Leiden, Sterben und Auferstehen unseres Herrn Jesus Christus“ einst ein streng katholisch besetztes Theaterstück, ist es heute in Oberammergau ein Projekt mit Menschen unterschiedlicher Glaubensrichtungen. Antisemitismus und judenfeindliche Wortwahl wurden weitestgehend verbannt. Jede Generation muss sich das Stück im Kontext ihrer Zeit erarbeiten.
Der 61-jährige Spielleiter Christian Stückl zeichnet mit jüdischen Expertinnen und Experten für den Wandel in Text und Inszenierung verantwortlich, seit er 1990 die Spielleitung übernommen hat. In alten Spielen habe man mitbekommen, „wie Hass auf Juden propagiert wurde“, betont der hauptberufliche Intendant des Münchner Volkstheaters. Das Thema christlicher Antijudaismus bei den Oberammergauer Festspielen beschäftigt ihn, seit er Teenager war. Der Theaterregisseur will die Menschen näher ans Judentum heranführen. Von jüdischer Seite wurde er für sein Engagement mit dem Abraham-Geiger-Preis 2020 und vom deutschen Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit mit der Buber-Rosenzweig-Medaille 2020 ausgezeichnet.
Die Menorah, den siebenarmigen Leuchter, hat Stückl aus dem Ratssaal entfernt und auf den Abendmahltisch gestellt. Die Farbsymbolik hat er anhand der Kleidung angepasst. Judas war in früheren Inszenierungen gelb gekleidet, die Farbe, mit der man im Mittelalter Juden stigmatisierte. Jahrhundertealter Antijudaismus fand sich in Kostümen, im Bühnenbild und in „lebenden Bildern“, also Einzelbildern alttestamentlicher Szenen, erklärt Spielleiter Stückl. Katholische Gebete hat er durch jüdische wie das Glaubensbekenntnis „Schma Israel“ ersetzt und Teile von Jesu Worten in Hebräisch ins Stück aufgenommen.
Die Inszenierung provoziert auch wortlos durch Pilatus, er wäscht sich die Hände und schüttet das Wasser ins Volk. Der Satz „Ich wasche meine Hände in Unschuld“ sei durch das Publikum wahrgenommen worden, obwohl er nicht hörbar war. Der „Gottesmordvorwurf“ gegenüber Jüdinnen und Juden lasse sich aber nicht komplett vom Stück trennen und würde leider auch in den Passionserzählungen der Evangelien anklingen. Wenn etwa am Karfreitag aus dem Johannesevangelium gelesen wird: „Sie [die Juden] aber schrien: Hinweg, hinweg, kreuzige ihn!“, würden Juden ohne Unterschied beschuldigt. In der Passion gehe es jedoch nicht um einen jüdisch-christlichen, sondern um einen jüdisch-jüdischen Konflikt, geschickt genützt von römischer Machtpolitik zur Beseitigung eines vermeintlichen Aufrührers. „Jesus war vom ersten bis zum letzten Tag seines Lebens Jude.“
Die christlich-jüdische Zusammenarbeit ist Stückl auch in der Nachwuchsarbeit ein Anliegen. Bei den „Jugendtagen 2022“ soll es erstmals ein Rahmenprogramm für bis zu 8.000 junge, auch jüdische Menschen geben. Aufführungen, Einführungen, günstigere Preise und ein Treffen der Jugendlichen mit Theolog/innen und Darstellenden gibt es im Mai.
Rochus Rückel (26) ist neben Frederik Mayet in der Hauptrolle als Jesus zu sehen. Im echten Leben bringt er das Masterstudium Luft- und Raumfahrttechnik mit dem Theater unter einen Hut. Das Generationen-Projekt findet er „schon cool“, die Rolle des Jesus herausfordernd: „Man kann sich nur mit dem identifizieren, was er als Mensch ist, aber nicht, was er als Gott ist.“ Den meisten Christinnen und Christen „ist die Situation im damaligen Israel nicht bewusst“. Darüber wurde in den Proben gesprochen. Man versuche, das Passionsspiel neu, aktuell und für alle Religionen zugänglich zu machen, betont Rückel: Sehenswert sei es deshalb, „weil die Grundwerte, die vermittelt werden, für alle gleich sind“. Der Inhalt gehe jeden etwas an.
Eine Zweite der jungen Generation ist Sophie Schuster. Die 27-jährige Bankkauffrau und Marketingstudentin schätzt Maria Magdalena als willensstarke Frau ihrer Zeit, die sich nicht von ihrem Weg abbringen lässt. Sie zu spielen, sei mit „ganz viel Freude“ und Respekt verbunden. Letztendlich zähle, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen mit Chor, Orchester, Schneiderinnen und Schneidern.
Im aktuellen Passionsspiel gibt es auch muslimische Beteiligung, etwa beim Schauspiel und in der stellvertretenden Spielleitung. Für den jungen Regisseur Abdullah Karaca ist Jesus ein Prophet. Schauspielleiter Christian Stückl setzt vor allem bei der Darstellung der vorösterlichen Jesus-Figur an, denn „zuerst ist Jesus ganz Mensch, und er agiert als solcher auf der Welt“. Die religiöse Vielfalt im Team ist für Stückl ein großer Schatz. Bei Proben fürs Abendmahl etwa kommen Fragen auf, die ein reflektiertes Neuformulieren von ihm erfordern.
Das Oberammergauer Team trifft bei den Vorbereitungen in-klusive Israelreise auf Rabbiner sowie auf katholische und evangelische Theologinnen und Theologen. „Über die Sache reden und begreifbar machen, dass es in uns keinen Antisemitismus geben kann, weil unsere Wurzeln total jüdisch sind“, sei essenziell, ebenso sich heute dem interreligiösen Dialog zu öffnen. Erst der Innovationsgeist lasse das traditionsreiche Passionsspiel attraktiv erscheinen. «
Die Reportage entstand in Kooperation mit dem Reiseland Deutschland germany.travel und dem Eigenbetrieb Oberammergau Kultur.
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