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Erstes Schreiben von Papst Leo XIV. über soziale Gerechtigkeit

WELTKIRCHE_

Papst Leo XIV. hat sein erstes offizielles Lehrschreiben veröffentlicht. Eine "Apostolische Ermahnung" mit dem Titel "Dilexi te" (Ich habe dich geliebt). Thema ist die christliche "Liebe zu den Armen".

09.10.2025
- Kathpress-Rom-Korrespondentin Severina Bartonitschek / AME
Papst Leo XIV.
Papst Leo XIV.
© CC BY-SA 4.0 Edgar Beltrán, The Pillar  Wikimedia Commons

Titel wie Inhalt knüpfen an die Enzyklika "Dilexit nos" (Er hat uns geliebt) von Papst Franziskus aus dem Jahr 2024 an. Und sie klingen nicht nur nach Leos Vorgänger, sie sind zum großen Teil dessen ureigenes Werk.

 

Franziskus begann mit dem Schreiben in den Monaten vor seinem Tod. Leo führte es fort und zeigt damit auch Kontinuität zum Pontifikat seines Vorgängers. Wohl um dies zu betonen, unterschrieb Leo XIV. die Apostolische Exhortation am Festtag des heiligen Franziskus von Assisi, am 4. Oktober 2025.

 

"Da ich dieses Projekt gewissermaßen als Erbe erhalten habe, freue ich mich, es mir - unter Hinzufügung einiger Überlegungen - zu eigen zu machen und es noch in der Anfangsphase meines Pontifikats vorzulegen", schreibt der Papst in einem der ersten von insgesamt 121 Absätzen. "Ich teile den Wunsch meines verehrten Vorgängers, dass alle Christen den tiefen Zusammenhang zwischen der Liebe Christi und seinem Ruf, den Armen nahe zu sein, erkennen mögen."

 

Der Text offenbart wenig Neues: Es geht um die verschiedenen Facetten der Armut - materiell, sozial, moralisch wie geistlich, kulturell, arm an Rechten oder Freiheit - und darum, dass sie auch in westlichen Ländern zunimmt. Es geht zugleich um den Einsatz für soziale Gerechtigkeit durch Menschen und Institutionen in der katholischen Kirchengeschichte und um den Aufruf an alle Christen, diesen Einsatz fortzuführen. Bis hin zu einer grundsätzlichen Kapitalismuskritik.

 

Strukturen der Ungerechtigkeit zerstören

 

Insbesondere prangert Leo XIV. die Zunahme des Reichtums ohnehin schon reicher Eliten an. Auf das Individuum zentrierte Gesellschaften, in denen Probleme anderer als störend empfunden werden, bezeichnet er als krank. Dabei nimmt er auch Christen und christliche Gemeinschaften kritisch in den Blick, die den ganzheitlichen Aspekt der Religion außer Acht ließen, sich auf Gebet und Verkündigung beschränken und es Regierungen überlassen wollten, Armut zu bekämpfen.

 

"Manchmal werden auch pseudowissenschaftliche Kriterien herangezogen, wenn etwa gesagt wird, dass der freie Markt von selbst zur Lösung des Problems der Armut führen werde", kritisiert der gebürtige US-Amerikaner. "Oder man optiert sogar für eine Seelsorge der sogenannten 'Eliten' und behauptet, dass man, statt Zeit mit den Armen zu verschwenden, sich besser um die Reichen, Mächtigen und Berufstätigen kümmern sollte, um durch diese zu wirkungsvolleren Lösungen zu gelangen."

 

Leo XIV. fordert in dem Dokument: "Die Strukturen der Ungerechtigkeit müssen mit der Kraft des Guten erkannt und zerstört werden, durch einen Gesinnungswandel, aber auch mit Hilfe der Wissenschaften und der Technik, durch die Entwicklung wirksamer politischer Maßnahmen zur Umgestaltung der Gesellschaft." Sein Appell an die Christen lautet, sich für die Veränderung ungerechter sozialer Strukturen einzusetzen und zugleich armen Menschen mit einfachen, sehr persönlichen und unmittelbaren Gesten zu helfen. Christliche Liebe vollbringe Wunder, kenne keine Grenzen und sei vor allem eine Lebensweise, so Leo XIV.

 

Die "Option für die Armen"

 

Auffällig in dem Dokument sind die Anknüpfungen an Texte des lateinamerikanischen Episkopats und der Befreiungstheologie im Umgang mit den Armen. Die von ihr geprägte Begrifflichkeit einer "Option für die Armen" taucht elfmal in dem Dokument auf. Dort heißt es: "Es ist also gut nachvollziehbar, warum man auch theologisch von einer vorrangigen Option Gottes für die Armen sprechen kann, ein Ausdruck, der im Kontext Lateinamerikas, speziell bei der Vollversammlung von Puebla, aufgekommen ist, der aber im nachfolgenden Lehramt der Kirche gut integriert ist."

 

Das Pontifikat des Argentiniers Franziskus war geprägt von einer praktischen Umsetzung dieser Theologie, die Arme und Ausgegrenzte in den Mittelpunkt rückt. Leo XIV., der selbst lange Zeit in Peru wirkte, begibt sich hier in die Fußstapfen seines lateinamerikanischen Vorgängers.

 

Die prägenden Versammlungen der lateinamerikanischen Bischöfe in Medellín, Puebla, Santo Domingo und Aparecida bezeichnet Leo XIV. als wichtige Meilensteine für die gesamte Kirche und schreibt: "Ich selbst, der ich viele Jahre als Missionar in Peru tätig gewesen bin, verdanke diesem Weg der Unterscheidung in der Kirche, den Papst Franziskus klug mit dem Weg anderer Teilkirchen, insbesondere im Globalen Süden, zu verbinden wusste, sehr viel."

 

Seitenhieb Richtung USA

 

In den folgenden Abschnitten betont Leo XIV. seine Kontinuität mit dem in der Weltkirche lange umstrittenen lateinamerikanischen Weg sowie mit seinem Vorgänger Franziskus. Er zitiert aus dem Schlussdokument der Bischofsversammlung in Medellín von 1968 und nimmt in seinen Ausführungen auch einen der prägendsten Sätze des letzten Papstes mit auf: Es sei notwendig, so Leo XIV., weiterhin die "Diktatur einer Wirtschaft, die tötet" anzuprangern.

 

Und mit kaum verhohlenem Seitenhieb auf theologische Strömungen in seinem Heimatland argumentiert der US-Amerikaner: Obwohl es nicht an Theorien fehle, die versuchten, den aktuellen Zustand zu rechtfertigen, oder erklärten, dass die wirtschaftliche Vernunft von uns verlange, darauf zu warten, dass die unsichtbaren Kräfte des Marktes alles lösten, sei die Würde eines jeden Menschen jetzt und nicht erst morgen zu respektieren. "Das Elend so vieler Menschen, deren Würde negiert wird, muss ein ständiger Appell an unser Gewissen sein."

 

Auch Christen ließen sich oft von weltlichen Ideologien oder politischen und wirtschaftlichen Orientierungen anstecken, die zu ungerechten Verallgemeinerungen und abwegigen Schlussfolgerungen führten, schreibt Leo XIV. weiter. Er warnt: "Die Tatsache, dass praktizierte Nächstenliebe verachtet oder lächerlich gemacht wird, als handle es sich um die Fixierung einiger weniger und nicht um den glühenden Kern der kirchlichen Sendung, bringt mich zu der Überzeugung, dass wir das Evangelium immer wieder neu lesen müssen, um nicht Gefahr zu laufen, dass eine weltliche Gesinnung an seine Stelle tritt."

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Dietmar Steinmair ist Geschäftsführer des Katholischen Bildungswerks Vorarlberg und Teamleiter im Pastoralamt der Diözese Feldkirch.

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