Wort zum Sonntag
Im Oktober 1975 spendierte mir der ORF eine Reise nach Tübingen. Ich sollte das Fernsehgespräch mit Prof. Hans Küng vorbereiten, das am 8. Dezember 1975 gesendet wurde. Es war die Start-Sendung in der neuen Reihe „Theologie im Gespräch“, die später ins „Nachtstudio“ übersiedelt wurde. Das Thema war „Dein Reich komme“ und die Frage, warum es bisher ausgeblieben ist. Wir leben in einer Zwischenzeit, sagte Küng, mit dem Auftrag, jetzt etwas von Gottes Gerechtigkeit und Frieden für die Welt zu verwirklichen. Protest gehört zum Auftrag der Zwischenzeit dazu. 1970 war sein Buch „Unfehlbar?“ erschienen. Er stellte das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes in Frage – für Rom eine unerträgliche Herausforderung. Küng wurde mehrmals vorgeladen, war zum Gespräch bereit, verlangte aber Akteneinsicht, Gespräche mit dem Rechtsbeistand, eine Möglichkeit zur Appellation. Alles, was zu einem ordentlichen Prozess gehört, wurde verweigert. Im Dezember 1979 wurde Küng die Lehrbefugnis entzogen.
Hans Küng, geboren 1928 als Sohn eines Schweizer Schuhhändlers im Kanton Luzern, studiere ab 1948 in Rom und wurde zum Priester geweiht. 1957 ging er nach Paris und schrieb seine Dissertation über den evangelischen Theologen Karl Barth. Seit 1960 war er Professor an der Universität Tübingen, wirkte von 1962 bis 1965 beim II. Vatikanischen Konzil mit. 1966 holte er Joseph Ratzinger, den späteren Papst, als Professor nach Tübingen. Als 1968 die Studentenunruhen ausbrachen, trennten sich allerdings ihre Wege. Ratzinger floh ins ruhigere Regensburg. Hans Küng versuchte in vielen Büchern die Inhalte des christlichen Glaubens für Menschen von heute verständlich zu machen. Auf fast 900 Seiten ging er der Frage nach „Existiert Gott?“ (1978) und er erklärte das „Credo“ für Zeitgenossen (1992). Schon in der Konzilszeit forderte er die Abschaffung des Zölibats, die Gleichberechtigung der Frauen und eine entschiedene Annäherung der Konfessionen. Nichts davon konnte sich durchsetzen.
Nach dem Entzug der Lehrerlaubnis erfand die Universität Tübingen für ihn ein fakultätsunabhängiges „Institut für ökumenische Forschung“. Von da an wurde Küng zum entschiedenen Weltbürger. Er nahm Gastprofessuren in den USA und Kanada an und startete das Projekt „Weltethos“. Sein Grundsatz: „Kein Friede unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen“. Schon 1989 präsentierte er dieses Projekt vor der UNESCO, 2001 sprach er darüber vor der Vollversammlung der UNO in New York. Noch einmal traf Küng seinen früheren Kollegen, der inzwischen Papst Benedikt XVI. geworden war. Ratzinger lud ihn 2005 nach Castel Gandolfo ein. Aber von einer Aufhebung des Lehrverbots war keine Rede. Küng ließ sich in seiner Arbeit mit schweizerischer Unabhängigkeit nicht stören. Heuer am 6. April endete für Hans Küng die Zwischenzeit. Endlich fand er den Weg ins Reich Gottes.
Siehe auch Seite 4
Das Wirken des am 6. April im Alter von 93 Jahren verstorbenen Theologen Hans Küng ist von Spitzenvertretern aus Kirche und Politik gewürdigt worden. So erinnerte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, an den Begründer der Stiftung „Weltethos“ als einen „anerkannten und streitbaren“ Forscher. „In seinem Wirken als Priester und Wissenschaftler war es Hans Küng ein Anliegen, die Botschaft des Evangeliums verstehbar zu machen und ihr einen Sitz im Leben der Gläubigen zu geben“, erklärte Bätzing.
Die auf Küng zurückgehende „Stiftung Weltethos“ und das Tübinger Weltethos-Institut würdigten ihn als visionären Vordenker für eine gerechtere und friedlichere Welt. Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nannte Küng ein „bleibendes Vorbild eines Gelehrten, eines brillanten Denkers mit scharfem Verstand, der gleichzeitig wacher politischer Beobachter und engagierter Mitbürger war“. Der Wiener Theologe Paul Zulehner würdigte ihn als „einen der großen deutschsprachigen Theologen der katholischen Weltkirche“ und „Galionsfigur der nachkonziliaren Reformbewegung“ in der Kirche. Renata Asal-Steger, Präsidentin der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz, erklärte, Küng habe den Mut besessen, „heiße Eisen“ anzufassen. „So trat er schon für die Zulassung der Frauen zu kirchlichen Ämtern ein, als diese Forderung noch längst keine Selbstverständlichkeit war.“
Die Beerdigung Hans Küngs findet am 16. April statt. Der Trauergottesdienst beginnt um 12.30 Uhr in der Kirche Sankt Johannes in Tübingen. Der Sender SWR bietet einen Livestream an. Anschließend wird Küng auf dem Stadtfriedhof Tübingen beerdigt.
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