Wort zum Sonntag
Die US-Wahlen sind geschlagen. Entgegen den Prognosen hat Donald Trump deutlich vor Kamala Harris gewonnen. Wie schätzen Sie als Religionssoziologe das Ergebnis ein?
Detlef Pollack: Das Thema, das die Wählerinnen und Wähler in den USA am meisten interessiert hat und das den Ausgang der Wahl vor allem entschieden hat, war die Wirtschaft. Aber religiöse Zugehörigkeiten haben das Wahlergebnis ebenfalls beeinflusst. Religionssoziologisch waren die Wahlpräferenzen klar verteilt. Nachwahlbefragungen zufolge haben über 60% der protestantischen Christen für Trump gestimmt und weniger als 40% für Harris. Die Protestanten machen zwar nicht mehr die Mehrheit der Amerikaner aus, aber doch immerhin noch mehr als zwei Fünftel.
Auch die Katholiken, deren Anteil an der Gesamtbevölkerung sich auf etwas mehr als 20% beläuft, haben sich mehrheitlich für Trump entschieden. Allerdings waren es bei ihnen prozentual etwas weniger als bei den Protestanten. Die Angehörigen der Minderheitsreligionen und die Konfessionslosen, deren Anteil in den USA in den letzten Jahren stark gestiegen ist – auf etwa ein Viertel –, haben hingegen mehrheitlich für Harris gestimmt. Im Hinblick auf die Wahlpräferenzen kann man also von einer religiösen Spaltungslinie sprechen, die das Land durchzieht. Die Spaltung wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, dass es bei den Evangelikalen etwa 80% waren, die Trump ihre Stimme gaben.
Für viele Christen dürfte bei ihrer Entscheidung für Trump das Thema Abtreibung eine große Rolle gespielt haben. Er hat sich immer wieder als Abtreibungsgegner präsentiert. Trotzdem: Trump ist ein Mann, der strafrechtlich verurteilt ist, der oft lügt und sich frauenfeindlich, antidemokratisch und rassistisch äußert. Wiegt das weniger? Welche Erklärung haben Sie für das Wahlverhalten von Christen?
Pollack: Konservative Christen, vor allem die sogenannten Evangelikalen, aber auch konservative Katholiken, haben seit vielen Jahrzehnten das Gefühl zu einer Gruppe zu gehören, die in der Öffentlichkeit und in den Medien der USA geringgeschätzt wird. Sie halten sich, so die Ergebnisse von Umfragen, sogar für die am stärksten verfolgte Gruppe in Amerika, stärker verfolgt und benachteiligt als Afroamerikaner oder Muslime. Schon in den 1960er Jahren wurde das Pflichtgebet in der Schule abgeschafft. 1973 wurde die Abtreibung freigegeben.
Konservative Christen haben den Eindruck, dass ihnen die moralischen Grundlagen ihrer Lebensführung durch den liberalen Wertekonsens der Eliten der Ost- und Westküste genommen werden soll. Seit den 1970er Jahren wehren sie sich dagegen. Aber über lange Zeit mehr oder weniger vergeblich. Wenn sie sich jetzt mit Trump verbünden, dann um ihre Verliererposition endlich verlassen zu können. Trump hat schon in seiner ersten Amtszeit von 2017 bis 2021 viele ihrer Erwartungen erfüllt. Er setzte konservative Richter am Obersten Gerichtshof ein und hielt an seiner Ablehnung der Abtreibung fest.
In den letzten 50 Jahren hat sich die öffentliche Meinung in der Bevölkerung sehr stark liberalisiert. Die Menschen in den USA stellen mehr und mehr die traditionelle Rollenaufteilung zwischen Mann und Frau in Frage, bejahen Homosexualität. Waren es 1971 35%, die die Möglichkeit der Abtreibung bejahten, so sind es heute 55%. Die konservativen Christen, und dabei insbesondere die Evangelikalen, haben das Gefühl, dass sie sich gegenüber dem gesellschaftlichen Mainstream nicht behaupten können. Sie verlieren an Anhängern. Vor 30 Jahren machten sie noch zwischen 25 und 30% der amerikanischen Gesamtbevölkerung aus, jetzt sind es noch 20% – auch noch relativ viele, aber eben weniger als früher.
Sie passen sich an den dominanten Wertewandel in der Gesellschaft an, wenn auch nicht in allen Fragen. In Bezug auf Abtreibung zum Beispiel sind sie heute noch so konservativ wie vor 50 Jahren. Aber sie haben nicht mehr große Teile der Bevölkerung auf ihrer Seite, sondern empfinden sich als schrumpfende Minderheit, die für ihre Sache kämpfen muss. Oft stecken sie Niederlagen ein. Oft müssen sie nachgeben. Trump ist für sie ein Retter.
Trump ist ein verurteilter Straftäter, ein Lügner, ein Ehebrecher. Wie gehen die Evangelikalen damit um?
Pollack: Der Republikaner hat die konservative Position der Evangelikalen in der Zeit, in der er zum ersten Mal Präsident wurde, gestärkt. Er hat geliefert und sein Wort gehalten. Dass er kein Christ ist, wissen auch die meisten der Evangelikalen. Ihre Argumentation ist: Gott hat viele Wege, seine Ziele zu verwirklichen. Er kann sich auch der Hilfe von Sündern bedienen, so wie er seinerzeit König David als seinen Diener auserwählt hat, obwohl auch David ein Sünder war und sogar einen Offizier seiner Armee in den Tod geschickt hat, um dessen Frau in seinen Harem aufnehmen zu können. Die Wege Gottes sind unerforschlich.
Spielt in dieser Diskussion auch die Migration eine Rolle? Trump kündigte ja an, illegale Migranten mit lateinamerikanischen Wurzeln abzuschieben ...
Pollack: Er punktet damit, dass er sagt, er wäre in der Lage, die Migration zurückzudrängen, Stichwort Grenzmauer zwischen den USA und Mexiko, die er während seiner ersten Amtszeit als Präsident bereits angefangen hat zu bauen. Damit will er im Grunde die weißen Evangelikalen und die weißen Mittelschichten bedienen.
Bei diesem Thema spielt nicht nur Religion eine Rolle, sondern auch ethnische Zugehörigkeit. Es sind weiße Nationalisten, die befürchten, ihre Dominanz zu verlieren und die die Position vertreten, dass sie das Land gegründet haben und es daher eigentlich ihnen gehöre. „Make America Great Again“ meint für sie, es solle wieder so werden, wie es einmal war, als noch die weißen Industriearbeiter den Rückhalt der wirtschaftlichen Prosperität Amerikas darstellten. Nicht alle, aber doch ein großer Teil der konservativen Christen gehören in das Spektrum dieser weißen Nationalisten. Die schwarzen Evangelikalen haben hier natürlich eine ganz andere Position. Die Mehrheit von ihnen stimmte nicht für Trump, sondern für Harris.
Sie haben vorhin den steigenden Anteil von Konfessionslosen erwähnt. Denken Sie, dass liberaler eingestellte Christen in den USA der Kirche noch mehr den Rücken kehren werden?
Pollack: Meiner Meinung nach ja. Der Hintergrund ist: Bei den konservativen Christen verbinden sich bestimmte religiöse Haltungen mit politischen Haltungen. Sie sind für die Rückkehr zum Glauben an Gott und halten das für ein Mittel, um die Nation Amerika wieder stark zu machen. Sie meinen, auf der Seite des moralisch Guten, auf der Seite des Evangeliums zu stehen und treten daher kämpferisch für eine Reinigung des Landes von Minderheiten ein. Sie verstehen sich als ein Lager, das sich von den Anderen, denen, die ihre Werte nicht teilen, abgrenzen muss.
Und genau diese Verbindung von Politik und Religion stößt sehr viele Menschen ab, vor allem die, die nicht so religiös sind. Deshalb gehen viele von ihnen sowohl zur republikanischen Politik als auch zur Religion auf Distanz. Sie sagen: Wenn das die Religion ist, der ich angehören soll, dann bin ich keiner von denen. Die Vermischung von Religion und Politik hat laut Untersuchungen stark mit dazu beigetragen, dass der Anteil der Konfessionslosen dramatisch angestiegen ist. Waren es in den 1990er Jahren weniger als fünf Prozent, so sind es jetzt mehr als 25 Prozent.
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