Wort zum Sonntag
Am großen Feiertag in Loreto ist die Wallfahrtskirche Ziel von Piloten aus aller Welt, die seit 1920 zu ihrer Patronin pilgern, der Madonna von Loreto. Schon am Vorabend markieren Höhenfeuer rund um die Stadt den Festtag, signalisieren die Flammen sozusagen den Landeplatz der Engel. Ziel der Besucher aber ist das Heilige Haus inmitten der Kirche: die Santa Casa, das Elternhaus der Gottesmutter. Tag für Tag zieht eine Karawane von Wallfahrern durch seine Mauern, bewundert die kleine schwarze Madonna über dem Altar, die hier seit Jahrhunderten verehrt wird. Zunächst war es eine Ikone, die man später durch eine Statue aus Tannenholz ersetzte. Als die 1921 einem Feuer zum Opfer fiel, schuf man die heutige Marienfigur aus libanesischem Zedernholz.
„Hier ist die heiligste Gottesmutter Maria zur Welt gekommen, hier vom Engel begrüßt worden. Hier ist das Ewige Wort Gottes Fleisch geworden“, verheißt die lateinische Inschrift auf der Marmorhülle des Hauses, die man vor Jahrhunderten über die Santa Casa stülpte. Es war ein Zeichen der Wertschätzung, das die Kirche dem Gebäude entgegenbrachte: einem kleinen Steinhäuschen ohne tragendem Fundament. Viele Päpste waren davon überzeugt, dass Engel das Haus der Gottesmutter Ende des 13. Jahrhunderts vor den Muslimen in Sicherheit gebracht hätten, das Gebäude also echt sei.
Einer der Letzten, der Marias Geburtshaus noch im Ursprungsort Nazareth gesehen hatte, war Franz von Assisi, der 1219 nach Palästina gepilgert war. „Hier fiel er auf seine Kniee und begann mit häufigen Thränen den kostbaren Boden zu benetzen, den Jesus und Maria so oft betreten haben“, heißt es in einer Chronik. 1291 aber, so erzählt die Legende, ging die Santa Casa auf Reisen, flogen Engel das Haus von Nazareth ins heutige Kroatien. „Da unterdessen niemand wußte, woher diese Kirche gekommen sey“, verrät ein altes Buch christlicher Archäologie, „so erschien die heilige Jungfrau des Nachts dem todtkranken Bischof von Tersato, der sie um Hülfe angerufen hatte, erklärte ihm alles und heilte ihn zugleich.“ Daraufhin schickte der Statthalter Dalmatiens eine Kommission gelehrter Männer ins Heilige Land, um in Nazareth nach dem verschwundenen Heiligen Haus zu suchen. Und tatsächlich: Die Maße, welche das Häuschen in Dalmatien hatte, stimmten genau mit den im Heiligen Land noch vorhandenen Grundmauern überein. Damit waren erst einmal alle Zweifel an der Echtheit des Hauses beseitigt.
Weil das Heilige Haus in Dalmatien aber nicht groß verehrt wurde, brachten es die Engel 1294 in einen Lorbeerhain nahe des italienischen Dörfchens Recanati. Wegen der dort ihr Unwesen treibenden Räuber wurde die Santa Casa Monate später erneut per Luftfracht verlagert. Am neuen Landeplatz aber stritten sich zwei Brüder um die Opfergaben, so dass die Engel das Haus schließlich auf einen benachbarten Hügel stellten.
Damit hatte das mittelalterliche Europa einen weiteren wichtigen Wallfahrtsort. Berichte, die in der Münchner Staatsbibliothek aufbewahrt werden, belegen, dass sich deutschsprachige Pilger schon im frühen 14. Jahrhundert auf den Weg nach Loreto machten. Rings um das Heiligtum baute man deshalb Quartiere für die Wallfahrer. Aber auch für die Mönche und Priester, die sich um ihr Seelenheil kümmerten. Die frühesten Zeugnisse der Buchdruckerkunst brachten die Geschichte des Heiligen Hauses schließlich unter das Volk, das in Massen nach Loreto pilgerte. 1468 begann Papst Paul II. mit der Errichtung der heutigen Basilika. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts war die eindrucksvolle Fassade der Basilika fertig.
Dass Loreto zum wichtigsten italienischen Marienheiligtum wurde, lag vor allem an den Päpsten, die keinen Zweifel an der Echtheit des Gemäuers hegten. Auch wenn man sich nicht immer einig war, ob es Engel waren, die den Bau versetzten – oder Menschen, die das Haus abbauten und die Steine über das Mittelmeer brachten. Schon Papst Julius II. hatte 1507 festgeschrieben, dass in Loreto die Kammer stehe, „in der die gebenedeite Jungfrau unter Mitwirkung des Heiligen Geistes den Weltheiland empfing, wo sie ihren Sohn ernährte und erzog“. Immer aber blieben Zweifel an der Echtheit des Hauses.
Im 20. Jahrhundert wurden Untersuchungen an dem 9,52 m langen, 4,10 m breiten und 4,30 m hohen Heiligen Haus durchgeführt. Sie zeigten, dass das Haus kein Fundament besitzt und nicht in die Gegend passt, in der es heute steht. Auch die Anordnung von Fenstern und Türen ist nur zu verstehen, wenn man die Santa Casa als Ergänzung der noch in Nazareth existierenden Wohngrotte betrachtet. Allerdings vertritt man heute die These, dass Kreuzfahrer das Haus nach Italien gebracht haben. Dies unterstreichen auch rote Stoffkreuze mittelalterlicher Kreuzrittermäntel, die zwischen den Steinen des Hauses in Loreto eingemauert waren.
Die Wissenschaft, so scheint es, hat noch manches Rätsel zu lösen. Der Wallfahrt nach Loreto aber haben die gelehrten Zweifel nie geschadet. Tiefe, noch immer sichtbare Rillen auf den Marmortreppen der Santa Casa zeugen vom jahrhundertelangen Pilgerstrom, als die Wallfahrer auf den Knien um das Heilige Haus rutschten. Heute sind auch mehr als ein Dutzend Kapellen ein Besuchermagnet, die sich in der Basilika um die Santa Casa schmiegen. Viele zeigen Szenen aus der Geschichte des Fliegens. So wie in der amerikanischen Kapelle, wo das Kuppelgemälde den Flug des Ikarus ebenso zeigt wie den Mondflieger Armstrong. Selbst die Hündin Laika, welche die Russen einst ins All schossen, fehlt in Loreto nicht. «
Der italienische Wallfahrtsort Loreto befindet sich gut zwanzig Autominuten südlich der Adria-Hafenstadt Ancona im Vorland des Gran-Sasso-Gebirges. Die Autobahn-Ausfahrt Loreto liegt auf der A14 Bologna–Taranto. Bahnreisende fahren mit dem Zug bis Ancona, von dort weiter mit dem Bus.
Das große Marien-Heiligtum an der Piazza della Madonna 1 ist täglich von 6.15 bis 19.00 (im Sommer bis 19.30) geöffnet. Die Santa Casa schließt allerdings über Mittag zwischen 12.30 und 14.30 Uhr.
Weitere Informationen finden Sie unter
www.santuarioloreto.it
Wort zum Sonntag
Jetzt die KIRCHENZEITUNG 4 Wochen lang kostenlos kennen lernen. Abo endet automatisch. >>