Wort zum Sonntag
Zusammen mit anderen Personen fordern Sie Kardinal Reinhard Marx als Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz auf, beim Anti-Missbrauchs-Treffen im Vatikan über den Zölibat, Sexualmoral, Überhöhung des Weiheamtes und Gewaltenteilung in der Kirche zu sprechen. Warum?
Mertes: Wir bitten Kardinal Marx darum, die Schlüsselerkenntnisse der MHG-Studie (zu Missbrauchsfällen in deutschen Diözesen, Anm.) bei dem Treffen einzubringen. Diese laufen darauf hinaus, dass es beim sexuellen Missbrauch durch Kleriker und deren Verschweigen auch systemisch begünstigende Faktoren gibt. In der Reihenfolge steht das Thema Gewaltenteilung an erster Stelle.
Im Staat bedeutet Gewaltenteilung, dass Gesetzgebung, Verwaltung/Regierung und Gerichtsbarkeit getrennt sind. Heißt das für die Kirche, dass eine unabhängige Institution für den Umgang mit den Missbrauchsfällen zuständig sein soll?
Mertes: Selbstaufklärung von Verbrechen und von Leitungsversagen im Umgang mit Verbrechen funktioniert in monarchischen Systemen wie der Kirche nicht. Was uns vorschwebt, ist eine Art Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Kirche. Ein Beispiel in diese Richtung haben die US-Bischöfe vorgeschlagen: Demnach solle eine unabhängige Kommission, die mehrheitlich aus Laien besteht, dafür zuständig sein, dass in der Kirche angezeigte Straftaten zu den Staatsanwaltschaften gelangen – und nicht mehr die Bischöfe. Ein solcher erster Schritt würde auch das Bischofsamt entlasten, das ja in komplexe Loyalitätskonflikte kommt, sobald Kleriker oder Mit-Bischöfe des sexuellen Missbrauchs oder der Vertuschung beschuldigt werden.
Wer soll bei dem Bischofstreffen im Vatikan solche Vorschläge voranbringen? Hoffen Sie auf Papst Franziskus?
Mertes: Ich will das ungern personalisieren. Es ist ein Problem monarchischer Regierungsformen, Lösungen von einer Lichtgestalt an der Spitze zu erwarten. Man sollte auch nicht vergessen, dass Papst Franziskus selbst in der Kritik steht – denken wir nur daran, wie er zunächst mit dem Missbrauchsskandal in Chile umgegangen ist (Franziskus hatte zunächst einen Bischof verteidigt, später aber eingeräumt, „schwere Irrtümer begangen“ zu haben, Anm.). Es wäre aus meiner Sicht notwendig, dass der Papst sein Amt – nicht seine Person – als Teil des Problems definiert, weil es sich ja letztlich jeglicher Kontrolle entzieht. Gerade von den Bischöfen, die unter dem Druck der Missbrauchskrise erkannt haben, dass ihr Amt in diesem Sinne Teil des Problems ist, erwarte ich mir, dass sie diese Erkenntnis in Rom einbringen – in eine Gruppe von Bischöfen aus aller Welt, von der große Teile noch gar nicht an dem Thema dran sind.
Der Vatikan gibt sich sehr zurückhaltend bei den Erwartungen in den „Missbrauchs-Gipfel“. Es heißt nur, man wolle erreichen, dass alle Bischöfe „auf einem Stand“ sind. Ist die Weltkirche einfach noch gar nicht so weit, Erkenntnisse, wie Sie diese schildern, umzusetzen?
Mertes: Das ist sicherlich ein langer Prozess. Aber ich möchte auf die Formulierung „auf einen Stand bringen“ eingehen: Auf welchen Stand denn? Ist der schon klar? Zwei Deutungen der Missbrauchskrise kämpfen in der Kirche miteinander: Die zu unserer Position im offenen Brief alternative Lesart lautet doch: „Die schwulen Priester sind schuld, weil ja offensichtlich ein hoher Anteil der Missbrauchsopfer männlich ist; und wenn sich alle an die Kirchenlehre halten würden, gebe es keinen Missbrauch.“
Dieses Vorurteil, wonach die Missbrauchskrise nur eine Sache der Homosexualität sei, ist bekannt. Müsste sich die Kirche also zunächst besser mit der Homosexualität auseinandersetzen?
Mertes: Aus meiner Sicht müsste eine Konsequenz sein, auch homosexuelle Männer zur Priesterweihe zuzulassen. Die Weigerung führt ja dazu, dass junge Männer das Thema verschweigen müssen, wenn sie Priester werden wollen. Es ist aber ein schweres Hindernis für die Reifung, wenn ich über meine Sexualität nicht sprechen kann. Im Hintergrund der bisherigen Zulassungsordnung steht die kirchliche Lehre zur Homosexualität. Dass die Veranlagung zwar keine Sünde sein soll, wohl aber die entsprechenden Handlungen, ist nicht mehr nachvollziehbar. Wenn aber Homosexualität mit dem Gefühl der Sünde verbunden wird, werden junge, gut katholische Männer zu dem Trugschluss verführt: Ich lebe zölibatär, und dann habe ich das Problem gelöst. Auf diese Art wird die zölibatäre Lebensform attraktiv für Männer, die sich nicht mit ihrer Sexualität auseinandersetzen wollen.
Glauben Sie, dass das jetzt wieder diskutierte Problem des Missbrauchs an Ordensfrauen auch Thema in Rom sein wird?
Mertes: Ich vermute, dass das den inhaltlichen Bogen des Treffens überspannt. Freilich gibt es einen tiefen Zusammenhang zwischen dem Missbrauch an Minderjährigen und an Ordensfrauen, nämlich das Machtgefälle im Männer- und Frauenbild in der Kirche, und dann auch noch bei Orden und geistlichen Gemeinschaften den Missbrauch des Gehorsamsgelübdes.
In der Debatte wird Ihnen und anderen Unterzeichnern des offenen Briefes aus vorgeworfen, den Missbrauchsskandal für eine Reform-Agenda zu instrumentalisieren. Was sagen Sie dazu?
Mertes: Ich habe niemanden instrumentalisiert. Dieses Totschlagargument kenne ich seit zehn Jahren, es ist der Versuch, die Debatte zu beenden. Es wird ja wohl niemand sagen können, die Wissenschaftler der MHG-Studie würden eine kirchenpolitische Agenda verfolgen. «
Klaus Mertes
Der Jesuit machte 2010 als Rektor des Canisius-Kollegs in Berlin Missbrauchsfälle öffentlich und löste so eine Welle der Aufdeckung und Aufarbeitung in kirchlichen und nichtkirchlichen Einrichtungen aus. Heute ist Mertes Direktor des Kollegs St. Blasien.
Anti-Missbrauchs-Gipfel im Vatikan
Im Vatikan beginnt am Donnerstag (21. 2.) das mit Spannung erwartete viertägige Spitzentreffen zu Missbrauch und Kinderschutz in der katholischen Kirche. Papst Franziskus hat dazu die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen aus aller Welt sowie Vertreter von Ordensgemeinschaften nach Rom gerufen.
Vorgesehen sind neben Plenarrunden und Arbeitsgruppen auch eine Bußfeier und Berichte von Betroffenen von Missbrauch sowie Vorträge externer Experten. Der Papst nimmt an der gesamten Konferenz teil. Für Franziskus sei „wesentlich, dass die Bischöfe nach ihrer Rückkehr aus Rom die anzuwendenden Gesetze kennen sowie die notwendigen Schritte unternehmen, um Missbrauch zu verhindern, sich um die Opfer zu kümmern und sicherzustellen, dass kein Fall vertuscht oder begraben wird“, hieß es in einer Vatikanerklärung mit Blick auf die Beratungen, zu denen an die 200 Teilnehmer erwartet werden.
Diese sollen zunächst über ihre seelsorglichen, rechtlichen und spirituellen Aufgaben beim Kinderschutz unterrichtet werden, informierte der Jesuit Hans Zollner, der die Konferenz mitvorbereitet hat. Weiters geht es um ihre Rechenschaftspflicht. Bei dem Treffen solle daher über neue Methoden gesprochen werden. Ein weiterer Tag ist der Transparenz gewidmet. Für das Treffen wurde eine Internetseite eingerichtet: www.pbc2019.org.
Österreich. Aus Österreich reist Kardinal Christoph Schönborn nach Rom. Es sei nicht nur wichtig, weltweit zu einem gemeinsamen Bewusstseinsstand, sondern auch zu gleichen Standards zu kommen, um gegen Missbrauch vorzugehen, sagte er. Präzise Regeln hätte schon Papst Benedikt XVI. vorgegeben. In Österreich sei man den Weg mit Entschiedenheit gegangen.
Österreichs Kirche hatte 2010 mit einem Regelwerk und der Unabhängigen Opferschutzkommission (Klasnic-Kommission) reagiert. Diese hat bislang in 2140 Fällen entschieden und in 1974 Fällen Finanzhilfe bzw. Therapie zugesprochen (insgesamt 27,3 Millionen Euro). Bei 32 Prozent der gemeldeten Vorfälle handelt es sich um sexuellen Missbrauch, die anderen Fälle betreffen körperliche Gewalt. Die Mehrheit der Fälle ereignete sich vor 1970, 0,8 Prozent seit 2000. «
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