Wort zum Sonntag
Die Caritas Europa ist eine von vielen, vermutlich von tausenden Lobbying-Organisationen in Brüssel. Was tun Sie, damit die Stimme der Caritas gehört wird?
Maria Nyman: Unsere Stärke kommt davon, dass wir direkt mit den Menschen arbeiten. Wir haben Außenkontakte, die unvergleichlich sind und wir arbeiten von der Basis weg, von unten nach oben. Es gibt viele, viele Organisationen in Brüssel, aber nicht alle haben eine Verbindung zur Basis. Bei der Caritas ist das anders: Jede Botschaft, die wir nach oben weitergeben, kommt von den Menschen, kommt von der Caritas der einzelnen Länder, oder kommt zum Beispiel Von hier, von Linz. Hier findet gerade ein Treffen der Caritas-Verantwortlichen der osteuropäischen Länder statt: Weißrussland, Tschechien, Polen, Schweden, Georgien und Österreich.
Was ist der Unterschied zwischen nationaler Caritas und Caritas Europa?
Nyman: Bei der Caritas Europa arbeiten 18 Personen. Damit ist schon klar, dass wir nur für Unterstützung auf nationalem Level zuständig sein können. Wir stellen keine direkten Hilfeleistungen bereit. Unsere erste Aufgabe besteht in der Hilfe für unsere nationalen Mitglieder, die notwendigen Fähigkeiten für die Erfüllung ihrer Aufgaben zu stärken und den Austausch untereinander zu ermöglichen. Unsere zweite Aufgabe ist die Anwaltschaft auf europäischer Ebene. Wie das jede nationale Caritas in ihrem Land macht, machen wir das in Brüssel und Straßburg.
Wie kann man sich das vorstellen?
Nyman: Wir arbeiten dabei mit den Institutionen der EU, mit den politischen Entscheidungsträger:innen, mit den Mitgliedern des Parlaments oder mit den Verantwortlichen der Kommission. Das hängt jeweils davon ab, worum es geht. Wir sind froh, dass wir gute Kontakte haben dank der Tatsache, dass die Caritas sehr bekannt ist und bei vielen quer durch alle politischen Gruppierungen respektiert wird. Viele sehen in ihren Heimatländern, dass die Caritas gut arbeitet. Ich spüre, dass der Caritas Vertrauen und Respekt entgegengebracht werden – von vielen.
Sind Sie auch mit österreichischen Mitgliedern des EU-Parlaments in Kontakt?
Nyman: Ja, es hängt wie gesagt an den Themen. Wir stehen zum Beispiel mit Othmar Karas in Verbindung, aber natürlich mit Abgeordneten aus allen 27 Mitgliedstaaten. Othmar Karas habe ich namentlich genannt, weil er eine strategisch wichtige Position im Parlament inne hat.
Worin bestehen die konkreten Aufgaben der Caritas Europa?
Nyman: Auf europäischer Ebene geht es um den Einsatz für die humanitäre Situation, natürlich um die Ukraine, aber nicht nur. Wir sehen die wachsenden Herausforderungen in Armenien – der Strom der Flüchtlinge aus Bergkarabach ist riesig. Das sind nur zwei Beispiele. Es gibt viele Bereiche, wo wir die Koordination der Hilfe unterstützen müssen. Auch die Auseinandersetzung mit dem Klimawandel gehört zu unseren Aufgaben. Der Klimawandel und die Folgen für die Menschen rücken in unserer Aufgabenliste immer weiter nach oben.
Die Fragen des Einkommens, dass jede Person in Europa so viel verdient, dass sie in Würde leben kann, gehören ebenso zu unseren Aufgaben. Und Migration und Asyl: Das sind natürlich sehr heiße und schwierige Themen.
Die unterschiedlichen Länder Europas haben unterschiedliche Vorstellungen von Migration, auch die Kirchen in diesen Ländern. Wie geht man damit um?
Nyman: Wir gewährleisten, dass wir nicht als Caritas Europa über ein Land sprechen ohne der Zustimmung der Caritas dieses Landes. Was und ob etwas gesagt wird, hängt an der jeweiligen nationalen Caritas dieses Landes. Unser Ansatz ist aber immer, zu schauen, wo Not herrscht. Unsere Rolle als Caritas besteht darin, auszusprechen, worin das Leid und die Not von Migrant:innen an bestimmten Orten besteht und dass ihre Menschenwürde respektiert wird – wie immer die politischen Lösungen aussehen. Wir als Caritas haben so zu arbeiten, dass das Leben von gefährdeten Menschen geschützt wird.
Ist es Ihre Aufgabe als Caritas Europa, nationale Caritas-Organisationen vor allem im heiklen Bereich von Flucht und Migration zu kritisieren?
Nyman: Nein, meine Aufgabe ist es, in Dialog zu treten und zu hören, wo die Herausforderungen liegen. Was für die gesamte Caritas sehr hilfreich ist: Wir haben eine Leitlinie, die Katholische Soziallehre. Wir entscheiden nicht ohne Kompass. Auch der Papst spricht viel über Migration und Flucht, das ist ebenfalls sehr hilfreich. Er gibt uns Rückhalt, das hilft uns, Dinge klar auszusprechen. Wir verfolgen ja nicht unsere eigene Agenda, sondern unser Einsatz hat sein Fundament in der Lehre der Kirche. Wir stimmen uns sehr eng mit den Bischofskonferenzen ab. Diese Beziehung hilft uns.
Was kann die Caritas Europa für die Ukraine tun?
Nyman: Caritas Europa koordiniert aktuell die humanitäre Hilfe aller Caritas-Organisationen in der Ukraine. Wir haben von der Caritas-Konföderation ein Mandat, um die Hilfe leitend zu bündeln – gemeinsam natürlich mit der Caritas des betroffenen Landes. In der Ukraine gibt es zwei Caritas-Organisationen, die römisch-katholische und die griechisch-katholische. Beide waren schon vor dem Krieg sehr aktiv und haben daher Gott sei Dank eine Reihe von funktionierenden Strukturen.
Was erwarten Sie von der laufenden Synode in Rom?
Nyman: Eine hörende Kirche. Es hilft uns als Kirche – und die Caritas ist Teil der Kirche – zu hören und die Beziehungen zu vertiefen, die durch das Hören entstehen und gestärkt werden können. Wir waren sehr froh, dass wir beim kontinentalen Treffen in Prag eingeladen waren und dort unsre Erfahrungen über Armut einbringen konnten. Ich war sehr bewegt, wie dort aufeinander gehört wurde.
Von der Synode in Rom erwarte ich, dass das Hören unverzichtbarer Teil der gesamten Kirche wird. Dass das die Natur der Kirche wird und ebenso der Caritas. Gerade für die Caritas ist das wichtig: dass wir Hörende bleiben, nicht überzeugt sind, dass wir die Lösungen haben, sondern besonders den Erfahrungen der Armen gegenüber Hörende sind. Ich erwarte, dass wir uns als Caritas durch das Hören transformieren lassen.
Generalsekratärin der Caritas Europa
Maria Nyman stammt aus Uppsala (Schweden), ist Juristin und lebt seit 2004 in Belgien. Bevor sie 2019 die Aufgabe der Caritas-Europa-Generalsekrtärin übernahm, hatte sie auf europäischer Ebene für die Rechte, besonders für die Inklusion beeinträchtiger Menschen gearbeitet.
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